Theaterkritik
Theaterkritik vom 18.10.2011
Faust (Margarethe) - Der alte Faust sitzt in der Wohnkiste, einem wohnwagenartigen Gebilde ohne Räder und schreibt die Wände voll mit seinem Gelehrtengeschwafel. Kontrastiert wird dies jedoch durch seine Verzweiflung. Er will seine Jugend zurück, die größtmögliche Macht überhaupt. Geschwind ist Mephisto als smarter Zuhältertyp mit cooler Sonnenbrille zur Stelle und erfüllt ihm seinen Wunsch. Ein junge Faust kommt wie ein Deus ex Machina aus einem Sack gekrochen, der ganz vorne auf der Bühne lag. Alter Faust geht, der Junge ist bereit für die Sause, die da kommen wird. Den Faust zu doppeln ist eine der originellen Einfälle in der Inszenierung von Operndirektor Karsten Wiegand.
Kunterbunt wird die Kirmesszene und unterstreicht zum wiederholten Mal Wiegands Hang zu knalligen Farbenspielen, die es sonst eigentlich nur auf einem LSD-Trip gibt. Doch schrill und bunt und laut ist nicht Fausts Verlangen. Die blasse wie reine Marguerite hat es ihm angetan und so wohnt sie folgerichtig in einem Goethegartenhäuschen voller Pastellfarben. Fast könnte man sich an dem unschuldigen Paradieszustand erfreuen, wüsste man nicht, was da bald kommen wird. Und wäre Mephisto nicht immer präsent – unaufdringlich, aber unübersehbar, später selbst als Kirchenmann.
Hoch, kalt und undurchdringlich ist die Wand, der Eiserne Vorhang nach der Pause. Und die schwangere Marguerite steht der Wand ebenso ohnmächtig gegenüber wie der Ignoranz ihrer Umwelt. Nicht einmal ihr Teddy hilft noch und so verbrennt sie ihn. Ein starkes Ersatzbild für ihre Abtreibung und dann schleudert sie den toten Embryo gegen die Wand. Der Blutfleck bleibt als Fanal. Bis das jüngste Gericht nach der Hinrichtung Marguerites im gleißenden Licht alles andere überstrahlt.
Mit seiner bislang engagiertesten Weimarer Regiearbeit unterstreicht Wiegand die Tiefe des dramatisches Stoffes, die durch die insgesamt recht harmlose Musiks Gounods oftmals nicht erreicht wird. Zu heiter, zu operettenhaft wirken nicht nur die Walzerklänge, um den Faust-Stoff adäquat darzustellen. Und so war es vollkommen richtig, einiges am Libretto wegzustreichen. Es hätte durchaus auch etwas mehr sein dürfen, denn Längen gab es immer noch – und das trotz einer wieder einmal hervorrragenden Orchesterleistung unter der Leitung von Felix Bender. Was die Staatskapelle auf die Beine stellt, ist wirklich famos und dass sie eine doch eher schwächere Oper trotzdem zu einem Triumph führen kann, spricht für sie. So heimste das Orchester auch den meisten Beifall ein. Der wurde allerdings an alle Akteure reichlich verteilt und selbst die Regie bekam diesmal keinen einzigen Buhruf.
Sehr solide ist auch die Leistung der Solisten zu bewerten. Bravourös Alexander Günther als alter und Artjom Korotkov als junger Faust. Vielschichtig mit großem Volumen Weimars wohl neue Prima Donna Larissa Krokhina als Marguerite. Stark in den Vordergrund gespielt und gesungen hat sich Remigiusz Lukomski als Mephisto und unterstreicht damit auch, dass der eigentliche Held des Stückes der böse Teufel ist.
Faust (Margarethe) (Charles Gounod)
Regie: Karsten Wiegand
Premiere: 15.10.2011, Weimar, DNT, Großes Haus
(Oliver Kröning)