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Theaterkritik

Theaterkritik vom 14.11.2011

Das Wirtshaus im Spessart - Morphing the Cold Heart - Wenn wir ehrlich sind, müssen wir gestehen, dass wir Mitteleuropäer von heute mit einem Teil unseres kulturellen Erbes Probleme haben, und zwar mit den Romantikern, die vor rund 200 Jahren die Literatur prägten. Wenn wir darüber hinaus gnadenlos ehrlich sind, müsssen wir gar zugeben, dass uns vor allem die Märchen fast peinlich sind. „Erzähl keine Märchen, Du Märchenonkel“. Schon die Sprache verrät uns und wir tun dabei Unrecht und uns selbst alles andere als einen Gefallen.

Und so ist es kein Zufall, dass kein Deutscher, sondern ein Bosnier sich Wilhelm Hauff annimmt und eine sehr freie Interpretation der Wirtshaus im Spessart-Episode „Das kalte Herz“ auf die Große Bühne des DNT bringt. Sandy Lopicic heißt er und bettet das Hauff-Märchen in ein brandaktuelles Thema: die Revolution in Ägypten. Acht deutsche Animateure sitzen im Luxushotel am Roten Meer und haben Angst um ihr Leben. Touristen sind fast keine mehr da und wer weiß, was die Muselmanen mit den europäischen Herrenmenschen noch machen werden. Eine lange Viertelstunde befürchtet man Schlimmes; nämlich dass da eine zwangsoriginelle Gesellschaftskritik präsentiert wird, die sich wie ein Raubtier auf einen aktuellen Stoff stürzt. Der Rezensent bekennt: er ist abermals bitter im Unrecht und gibt das gerne zu, denn das was auf das Intro folgte, war das Lebendigste, Unterhaltsamste, aber auch Tiefsinnigste, was in den letzten zehn Jahren auf der Großen Bühne in Weimar zu sehen war.

Ein oder zwei Touristen sind doch noch da und so präsentieren die Animateure eine furiose Aufführung voller Magie. Der Kohlenpeter schämt sich seiner Köhlerherkunft und will lieber richtig Kohle verdienen, verspielt aber sein Geld und muss sich sein Herz herausoperieren und durch einen Stein ersetzen lassen, um wieder bei Kasse zu sein. Ein Deal mit dem Teufel, der vielleicht wieder korrigiert werden kann. Ein Märchen? Mag sein, aber Sinnbild für unsere Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten, die keine Werte mehr kennt außer den Wert von Geld.

Die Message ist klar und verständlich, aber wie sie transportiert wird, macht die Faszination dieser Aufführung aus. Noch nie hat man das Weimarer Ensemble bei solch einer Spielfreude gesehen, noch nie wurde ein eigentlich schwerer Stoff mit solch einer Leichtigkeit präsentiert. Und vor allem wurde gespielt und nicht proklamiert, wie das leider so häufig vorkommt. Die neun Schauspieler legen eine Lebendigkeit an den Tag, die man nicht allen zugetraut hätte. Erstaunlich, was Lopicic aus dem Ensemble herausholt. Untermalt wird das Ganze durch Balkanmusik mit Drehleier und anderen Instrumenten, die ebenso zu einer stimmigen Atmosphäre beiträgt wie die raffinierten Videocollagen, die an Emir Kusturica, aber auch an David Lynch erinnern.

Und dann ist leider Schluss. Die Botschaft, dass die Revolution erfolgreich war, unterbricht die eine magische Aufführung, die glauben macht, dass es eigentlich Geschichten aus tausendundzwei Nächten heißen muss und die letzte in den Spessartwäldern stattfindet. Die Animateure kehren wieder nach Deutschland zurück. Nur der, der im Eisbärkostüm um den Pool herumhopsen muss, bleibt. Besser als in Deutschland zu sein, ist das allemal.

Stürmischer Applaus. Zu Recht. Auch dafür, dass die Schauspieler sich „e-werk muss bleiben“-T-Shirts überstreifen. Wer weiß, vielleicht war „Das Wirtshaus im Spessart“ das letzte bombastische Feuerwerk, bevor in Weimar die Lichter ausgehen.

Das Wirtshaus im Spessart - Morphing the Cold Heart (nach Wilhelm Hauff)
Regie: Sandy Lopicic
Premiere: 12.11.2011, Weimar, DNT, Großes Haus

(Oliver Kröning)

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