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Tonspur

Tonspur vom 09.04.2012

The Jezabels – „Prisoner“ -
Ende des letzten Jahres habe ich einen Song mit Namen „Try colour“ heruntergeladen. Dass
das legal passierte, werde ich an der Stelle nicht noch extra betonen. Der Song landete jedenfalls – ohne ihn richtig gehört zu haben –, auf einer meiner CDs, die ich mir immer zum Auflegen zusammenbastele. Einmal gehört, wusste ich, zu welchem anderen Track er passen könnte. So passierte es, dass ich „Try Colour“ zum ersten Mal, quasi unter Wettkampfbedingung richtig hörte – und das laut, laut und laut! Das mir bekannte Intro läutete den Song ein und „Try Colour“ entwickelte sich. Er wurde größer und größer, und als ich dachte: „Das wars“, da nimmt er nochmal richtig Fahrt auf. Quasi wie ein aufziehender Sturm, von dem man erst nur die schwarzen Wolken sieht. Doch die Sängerin mit der glockenklaren Stimme trotzt dem Orkan. Kurzum: ein Mini-Epos in fünf Minuten und zwölf Sekunden.
Mittlerweile haben The Jezables eine komplette Platte mit Namen „Prisoner“ herausgebracht. Die Band besteht aus dem Gitarristen Samuel Lockwood, der Sängerin Hayley Mary, dem Schlagzeuger Nik Kaloper und der Keyboarderin Heather Shannon. Der Stil der Jezabels ist schneller, rhythmischer Rock. Jedem der Bandmitglieder ist es erlaubt, seinen Individualismus so auszuleben, dass ein Miteinander und kein Einheitsbrei entsteht. Und das gibt dem Rock der Jezabels dann auch die spannende Dynamik. Jedes Bandmitglied steuert zudem eine andere musikalische Vorliebe bei. Heather ist von Klassik geprägt, Nik von Heavy Metal, Haley von 1980er-Pop und Sam von Country. Und so klingen die Songs des Quartetts gefühlvoll, aber auch hart, sind progressiv instrumentiert und regen zum Mitsingen an. Hayleys mädchenhafte Stimme gibt den Jezabels aber erst das Unverkennbare. Ihr Gesang erinnert an Kate Bush, reicht über mehrere Oktaven und eignet sich unterschiedliche Rollen an.
Hayley Mary und Heather Shannon sind Jugendfreundinnen und wurden an der australischen Ostküste in einem Nest namens Byron Bay groß. Hier leben ca. 5000 Hippies, Surfer und Künstler. Das Paradies, könnte man meinen. Doch die beiden Frauen sehen auch hinter die Fassade der vermeintlich heilen Welt: „Die meisten Leute die nach Byron Bay kommen, halten das für das gelobte Land, aber irgendetwas scheint mir falsch daran, für immer im Paradies zu leben. Ich habe mal gehört, das Byron Bay früher, bevor die weißen Siedler nach Australien kamen, ein Treffpunkt der Eingeborenen war, aber kein Ort, wo Menschen dauerhaft lebten.“ erzählt Sängerin Healey Mary. Probleme, die wir hier in Weimar nicht kennen – aber ich schweife ab.
Die Beiden zieht es schließlich auf die Uni nach Sydney. „Nik hatte Wissenschaft studiert, Hayley und Sam Kunst und ich wollte irgendwann auf die Musikhochschule in Freiburg“, erzählt Heather. Erst ein Wettbewerb auf dem Campus, bei dem The Jezabels den zweiten Platz belegten, ermutigte sie, weiterzumachen. Und das sehr originell. Denn eigentlich war die Band – deren Name sich von der alt testamentarischen Königin Isebel ableitet – hier nur noch nur als Freizeitspaß gedacht. Richtig mulmig wurde den vier Studenten dann aber, als ihre EP „Dark Storm“ im Oktober 2010 den Goldstatus und Platz 1 der australischen iTunes-Charts erreichte. Spätestens ab da wussten die Anfang Zwanzigjährigen selbst nicht mehr, wie ihnen geschah.
Der Werdegang dieser Band ist ein kleines Phänomen, wenn auch in diesen Netzwerk-Zeiten nicht überraschend: Drei EPs veröffentlicht, ohne Label, ohne Promo-Agentur, aber mit hübscher und stimmgewaltiger Frontfrau. Australien wurde im Sturmlauf genommen und nun schickt sich Europa an, den Australiern Gehör zu schenken. Und bei diesen wohlfeilen und gefälligen Songs ist der Weg sicherlich kein steiniger.
Die Band spielt mit romantischen Motiven: Todessehnsucht, Liebe, Naturalismus. Dennoch treibt sie die Angst vor der künstlerischen Abhängigkeit um. Und das spiegelt sich auch in den Texten von „Prisoner“ wider. Irgendwie scheint sich hier alles um eine latente Angst vorm Gefangensein zu drehen. Soll heißen – zumindest deute ich das so –, künstlerisch wollen sich The Jezabels nicht reinreden lassen. Ganz ohne Abhängigkeiten geht es in der globalen Welt dann allerdings doch nicht. Denn, obwohl sie in Australien ihre ungebundene Freiheit behalten konnten, brauchte es zum Erscheinen der Platte auf dem deutschen Markt eine Unterschrift bei einem Label, und Pias wurde schließlich ausgewählt.
Inbrünstige Gefühle sind für Sängerin Hayley Mary kein Tabu, dicht klingt „Prisoner“; zuweilen theatralisch, und wenn die Orgel einsetzt, klingt die Platte durchaus klaustrophobisch. Hier wird ganz laut herausgebrüllt, wo man – symbolischem Interaktionismus sei Dank – die Welt verortet. Dabei sind Songs wie „Endless Summer", "Prisoner“ oder „Horsehead“ ziemlich nahe am perfekten Popsong; nur ohne die schwülstige Laszivität einer Lana Del Rey oder das Plastik-Geträllere einer Katy Perry.
Kurzum: „Prisoner“ ist ein wunderschönes, kraftvolles und theatralisches Album, das einen gut durch den Tag bringt!

(Dennis Klostermann)

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