Kommentar
Kommentar vom 28.02.2005
Paragraph 218 - Bis vor zehn Jahren gab es in den alten und neuen Bundesländern eine unterschiedliche gesetzliche Regelung zum Umgang mit Abtreibungen. Durch die Neuregelung des
§ 218 und dessen Gültigkeit für alle Bundesländer 1995 verloren die Ostfrauen ihr Recht auf absolute Selbstbestimmung und die Frauen im Westen gewannen ein wenig mehr Freiheit durch Ausnahmeregelungen dazu. Geblieben ist eine Fristenregelung mit Zwangsberatung.
Was hat der Staat von einer solchen Regelung? Und warum meint er überhaupt, eine solche Frage gesetzlich regeln zu müssen? Bedeutet dies nicht die Unterstellung, ohne den
§ 218 handelten Frauen verantwortungslos und würden sich leichtfertig und reihenweise - quasi als Alternative zu Verhütungsmitteln - auf den OP-Tisch legen und sich ein Stück Leben aus dem Leib reißen lassen? Betroffene Frauen selbst leiden oft jahrelang unter solchen Entscheidungen und treffen sie wohl nie ohne schwere innere Konflikte.
Der § 218 zeugt auch von einem Stück Verlogenheit in unserer Gesellschaft. Es gibt ihn, weil man dem werdenden Leben Achtung und Würde zubilligt, etwas, das man dem gewordenen Leben oft nimmt. Schon Karl Kraus kommentierte: "das werdende Leben wird geschützt, damit das gewordene krepieren kann".
Weder die Bestrafung mit Zuchthaus oder Gefängnis, noch die hohe Sterblichkeit bei illegalen Eingriffen konnten Frauen jemals von Abtreibung abhalten. Es musste also eine Angst geben, die noch größer war als die Bestrafung oder Tod: wirtschaftliche Not, gesellschaftliche Ausgrenzung, eine verzweifelte Lage. 1931 gab es aus Anlass der Verhaftung zweier Ärzte Massendemonstrationen gegen den Paragraphen 218. Frauen riefen: "Wir haben Hunger! Wir wollen Brot und Arbeit! Nieder mit dem Paragraphen 218!"
Auch heute spielen wirtschaftliche Gründe durchaus eine Rolle, auch wenn das soziale Netz noch nicht völlig abgeschafft wurde. Einen Arbeitsplatz zu erringen und zu behalten ist für Frauen immer noch ein wichtiges Argument, noch immer sprechen viele weibliche Biographien ihre eigene Sprache. Frauen müssen immer noch wählen zwischen Beruf oder Familie. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass aus der biologischen Fähigkeit zur Mutterschaft den Frauen vorrangig eine - oft alleinige - Pflicht für Kind und häusliche Arbeit abgeleitet wird. Treffen Frauen Entscheidungen gegen Kinder, werden sie als Karrierefrauen diffamiert. Hier sind jedoch Staat und Gesellschaft gefragt. In einer kinderfeindlichen Gesellschaft aber, in einem Staat, der Frauen, die beruflich erfüllt sein wollen, nahezu zwingt, auf Mutterschaft zu verzichten, kann von Chancengleichheit keine Rede sein.
Ein gründlicher Blick nach Schweden täte hier gut, denn die Schweden meinen es ernst. Ein gutes staatliches Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen und eine Arbeitsmarktpolitik, die das berufliche Fortkommen von Frauen fördert und vor allem: ein ganz anderes, sehr progressives Bild von Familienverantwortlichkeit in den Köpfen lassen Frauen alle Entscheidungsoptionen offen.
Aber der allererste und zwingendste Grund für die Abschaffung des § 218 muss sein, einer Frau das absolute Recht auf Selbstbestimmung zuzubilligen, ohne moralische Beweggründe. Frauen sollten ihren Lebensweg selbstbestimmt planen und gehen, sich wirtschaftlich unabhängig machen können ohne deswegen diskriminiert zu werden.
Man darf ihr durchaus zutrauen, dass sie dabei Freiheit und Verantwortlichkeit zu vereinbaren weiß.
(Andrea Klawonn)