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Kommentar

Kommentar vom 16.02.2005

Dresden ist überall - Der blanke Horror: drei alte ewiggestrige Altnazis neben den Führern der nächsten Generation Udo Voigt und Holger Apfel. Da stehen Franz Schönhuber, Gerhard Frey und Günther Deckert - von ihnen ist zwar nicht mehr viel zu fürchten, aber sie sind natürlich auch als Tattergreise Symbolfiguren für eine rechtsextremen Szene, die mit einem bedrohlichen Schulterschluss - einerseits der bisher rivalisierenden Parteien untereinander und andererseits mit den so genannten Freien Kameradschaften - zu sich selbst gekommen ist.
Eine gewaltige Demonstration zum 13. Februar hat gezeigt, dass zumindest in diesem Segment der bundesdeutschen Gesellschaft zusammengewachsen ist, was zusammen gehört. Oben die kokelnden Brandstifter aus den Chefetagen der braunen Organisierung und aus den ersten "eroberten" Parlamenten, unten das mindestens 5000-köpfige Fußvolk, dem nur noch die Uniformen zur SS-Division fehlten. 90 Prozent von ihnen Männer zwischen 18 und 35 Jahren, soldatisch zugerichtet und mit martialischem Gestus - der Führer hätte seine Freude gehabt.
In der Presse liest es sich anders und glimpflicher: "Dresden setzt ein Zeichen gegen Rechtsextremismus. Mehr als 50 000 Menschen gedenken der Opfer der Bombennacht vor 60 Jahren und protestieren gegen Neonazi-Aufmarsch" titelte die Berliner Morgenpost. Es seien nur 4000 Neonazis gewesen, heißt es in der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Und das ist schlicht nicht wahr.
Mit dieser Art von Verniedlichung dringen wir nicht zum Kern des Problems vor. Zunächst muss das beachtliche Maß an Disziplin und Professionalisierung der rechtsextremen Bewegung unterstrichen werden: versierte Präsenz im Internet - offensichtlich tragfähige Formen der Strategievermittlung und Durchsetzung von diszipliniertem Auftreten auch beim noch so tumben Alt- oder Jungnazi - eine sich rasch verfeinernde Parlaments- und Öffentlichkeitsarbeit - rechtliche Beratung und juristische Streitlust - sowie, ebenfalls nicht mehr zu leugnen, finanzielle Ressourcen, die nicht allein aus den Wahlkampfhilfen und Parlamentspfründen stammen können.
Kein Grund zur Panik - richtig! Aber auch kein Grund zum Herunterspielen oder dem pawlowsch hervorgewürgten Sprachgewölle von der "wehrhaften Demokratie" und der "demokratisch gesinnten Mehrheit" im Lande. Diese Mehrheit zeigt sich weitgehend hilf- und ideenlos im Umgang mit Rechtsextremismus, rassistischer Ideologie, antisemitischen Grundannahmen und neudeutschem Erinnerungsschwurbel. Wenn es sie überhaupt gibt, diese Mehrheit: manche Ergebnisse u.a. des "Thüringen Monitors" oder der Heitmeyer-Studie zu "Deutschen Zuständen" lassen hier durchaus Zweifel aufkommen.

Bitte lesen Sie mal die gut gemachte Broschüre der NPD im Sächsischen Landtag zum Bombengedenktag. Sie weist darin nicht zu Unrecht in Sachen Schock-Vokabel "Bombenholocaust" auf den umstrittenen Historiker Jörg Friedrich hin, der in seinem Buch "Der Brand" die Parallelisierung von NS-Vernichtungspolitik und Bombenkrieg der Alliierten bereits bis an die Schmerzgrenze getrieben hat - und damit einen Bestseller mit inzwischen 13 Auflagen landete.
Wer ist dagegen Holger Apfel?
Mit den Verbotsdebatten und solchen über demonstrationsfreie Zonen und Bannmeilen gefährdet sich die Demokratie in noch größerem Maße als es die Neonazis je vermöchten. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit als einem der Grundelemente der freiheitlichen Verfassung darf schon gar nicht im Schnellverfahren durchgesetzt werden: in letzter Konsequenz treffen solche Demontagen nach der Salami-Taktik uns alle und die elementare demokratische Kultur von Streit, Protest und Meinungsfreiheit.
Den Theaterplatz in Weimar oder vergleichbare Orte im ganzen Land zu einer Tabu-Zone für Protest und Demonstrationen zu erklären, wäre ein Schlag ins Gesicht der Demokratie - und den Neonazis ein innerer Reichsparteitag. Sie treiben die wehrhafte Demokratie zusehends vor sich her - von einem souveränen Agieren der Zivilgesellschaft und des "Souveräns" kann wahrhaftig nicht die Rede sein.

Anders, das muss anders laufen: nur wenn Demokratinnen und Demokraten von der CDU bis zur Antifa selbstbewusst auftreten und wir uns alle gemeinsam an den Aufbau dessen machen, was unentwegt und marktschreierisch schon als Zivilgesellschaft abgefeiert wird, kann ein weiteres Erstarken rechtsextremer Tendenzen in breiten Bevölkerungsschichten vielleicht gestoppt werden. Dabei muss die Vermittlung von Werten im Vordergrund stehen, wo es um Menschenrechte, Chancengleichheit, demokratische Kultur und lebendige Partizipationsmöglichkeiten, um soziale Gerechtigkeit und humane Orientierung gehen muss. Und das kann schon bald und praktisch im Umgang mit Benachteiligten geschehen, z.B. indem diskriminierende Gesetze und Gegebenheiten strukturellen Rassismus' für Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten abgeschafft werden. Das kann aber auch dadurch erreicht werden, dass bereits angelaufene, professionelle Projekte gegen Rechtsextremismus oder zur Unterstützung von Rassismusopfern weitergefördert und nicht kaltschnäuzig wegen politischer Hartleibigkeit abgewickelt werden. In Weimar ebenso wie in Thüringen und ganz Ostdeutschland.

Kritische politische Bildung, streitbare Meinungsfindung und - was spezifisch deutsche Diskussionen betrifft - die "ganze Wahrheit", was Verantwortung und Bewertung der NS-Zeit angeht, sind dafür vonnöten. Erst wen klar ist, dass der Bombenangriff auf Dresden oder auch der auf Weimar vier Tage früher nicht "sinnlos" waren, auch wenn sie Unschuldige mit trafen, können wir den geifernden Neonazis selbstbewusst entgegentreten. Erst wenn die 50 000 Dresdener wirklich gegen Rechts auf die Straße gehen und nicht um einem neuen, nach rechts anschlussfähigen Opfermythos zu huldigen, haben wir etwas Tragfähiges, worauf die Zivilgesellschaft aufbauen kann. Solange sich Dresden aus dem historischen Kontext stiehlt und mit New York 2001 und Coventry 1940 in eine Liste schmuggelt, ist es um die "ganze Wahrheit" schlecht bestellt.

Und - ein Satz noch zum Schluss - es bleibt dabei: dem gespenstischen Nazi-Aufmarsch in Dresden hätten diese Zehntausenden von Dresdnern friedlich entgegen treten können auf der Augustusbrücke. Sie hätten so gezeigt, dass sie das Demonstrationsrecht achten, aber Neonazis im Sinne des Grundgesetzes Grenzen setzen. Nur wenn wir für Menschlichkeit und Freiheit, gegen Nazi-Ideologie und Rassismus auch bereit sind zu symbolischen Aktionen zivilen Regelverstoßes werden wir davon sprechen können, dass wir "ein Zeichen gesetzt" oder "Gesicht gezeigt" haben gegen Rechtsextremismus.
Das gilt auch für den kommenden 28. Mai, an welchem sich ein paar hundert Nazis auf "unserem" Theaterplatz tummeln wollen.

(Friedrich C. Burschel)

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