Tonspur
Tonspur vom 19.09.2012
Blind Melon - Blind Melon - Ganz am südlichen Ende der Haight Street, da wo das alte Hippieviertel von San Francisco sanft in den Golden Gate Park hinübergleitet, gibt es den vielleicht weltgrößten Second Hand Plattenladen – Amöba. Wer noch Originalalben von Ottis Redding, den O-Jays oder Jimi Hendrix sucht wird hier genauso fündig wie der Pearl Jam Freak, der die spezielle Version von „Even Flow“ sucht, die es 1992 nur als teuren Re-Import gab. Seit ich im Sommer 1994 dort den Kulturschock meines Lebens erleben durfte, in dessen Folge ich fast meine gesamte Reisekasse in diesem Laden durchbrachte, zog es mich immer wieder ins Amöba. Nie wieder aber war es so, wie beim allerersten Mal, als ich nach stundenlangem Wühlen eine Platte in den Händen hielt, auf dessen Cover ein kleines dickes Mädchen in einem gelb-schwarzen Bienenkostüm durch superfette Brillengläser traurig in die Welt schaute. Das Bienenmädchen auf dem Debütalbum von Blind Melon. Blind wer? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas von Blind Melon gehört, aber das ging nicht nur mir so.
Das selbstbetitelte Werk liegt nach dem Erscheinen im September 1992 wie Blei in den Regalen. Die deprimierenden Verkaufszahlen halten so lange an, bis die Biene auf den Plan tritt. Fast genau ein Jahr nach Erscheinen der Platte veröffentlicht Capitol die Single "No Rain" - von einem herzigen Video begleitet, in dem das besagte etwas fülligere Mädchen in einem Bienenkostüm durch die Gegend hüpft. Jetzt geht es endlich kommerziell ab und "Blind Melon" erreicht in kürzester Zeit vier Mal Platin.
Blind Melon gehören zu den eher ungewöhnlicheren Bands, die nach 1991 im Zuge der Alternative-Revolution bekannt wurden. Das lag nicht nur an dem großen öffentlichen Interesse an irgendwie alternativ rockenden Bands sondern vor allem an ihrer Melange aus vom Spätsechziger-Stoff zwischen Hippie-, Folk- und Countryrock geprägte Songs die sich eher aus der Mugge alter Heroen wie Led Zeppelin und Grateful Dead und erdigem R&B speisen und nicht mit übersteuerten Lärmgitarren oder selbstzerfleischenden Texten a la Nirvana aufwarten. Fröhlicher Frickelfunk; Folk-Elemente und purer 70er-Jahre-Sound, gepaart mit eingängigem Songwriting und nachdenklichen, aber zumeist durchaus positiv geladenen Texten von Sänger Shannon Hoon.
Mein Leben is ziemlich mittelmäßig.
Ich schau mir gern den Regen an.
Ich kann nicht viel mehr als Tee trinken und meine Meinung sagen.
Aber normal ist das nicht.
Ich warte drauf, dass mal endlich jemand zu mir sagt:
Ich bin da, wenn Du aufwachst - jeden Tag.
Weißt Du, heute will ich mal nicht mies drauf sein müssen.
Also bleib da, dann schaff ich"s.
Der Durchbruchshit des Albums, die Auskopplung No Rain, sollte nicht nur zu einem der klassischen MTV-Clips mutieren, sondern auch das Image der Band für die ihr – wie sich herausstellen sollte, leider nicht mehr sehr lang währende – verbleibende Zeit festlegen: Blind Melon zeigten sich als fröhliche, Hippie-ähnliche Gestalten auf der grünen Wiese, und ein kleines, bebrilltes dickes Mädchen im Bienenkostüm suchte nach Freunden und Anerkennung, welche sie schließlich natürlich auch fand.
Am Ende wird alles gut, und wenn noch nicht alles gut ist, ist es auch noch nicht das Ende.
Am 14. September 1992, vor 20 Jahren erschien dieses bemerkenswerte Album.
(Frank Witte)