Tonspur
Tonspur vom 20.09.2012
Mumford and Sons - Babel - Zuallererst: Wenn ich die folgenden Minuten meckern sollte, dann erfolgt dies auf höchstem Niveau. Wir sollten nämlich klarstellen, dass ich Mumford and Sons ein wenig vergöttere. Dafür gibt es viele Gründe. Natürlich vor allem ihr erstes Album „Sigh No More“, dass 2009 so keiner erwartet hatte und das mich dazu brachte, mich mehr mit Folkmusik zu beschäftigen. Das war in diesem Jahre mit Johnny Flynn, Laura Marling und Noah and The Whale sowieso ungeheuer bereichernd. Und ich bin immer noch dankbar für den Moment, an dem ich in Weimar meine Kisten auspackte und auf einem Visions-Sampler zwischen all den Punksongs plötzlich „Little Lion Man“ lief. Tagelang wollte ich nichts Anderes mehr hören. Und die Wochen darauf auch nicht mehr, und dann kam ja endlich das Album, das ich immer noch ohne Langeweile durchhören kann. Ich fuhr sogar extra nach Strasbourg, um mit einem fast erhabenen Konzert belohnt zu werden: Alle Mumfords in einer Reihe, die Trommel von Sänger Marcus Mumford bedient, und der Kontrabass als das denkbar coolste Instrument des Moments. Vollkommener vierstimmiger Gesang, wie auf Platte, nur eben live und noch wundervoller. Und dazu eine sympathische und lustige Band, frei von Arroganz. Und dann diese Stellen mit dem Banjo und die mit den Bläsern, immer wieder.
Dieses Jahr sah ich Mumford and Sons wieder auf dem Southside Festival, und alles war… wie immer. Bis auf 20.000 Menschen mehr vor der Bühne. Es gab auch neue Songs, aber eigentlich hat man die gar nicht so sehr bemerkt, weil sie nahtlos in das restliche Programm gepasst haben, mit den hymnischen Refrains und den Banjo- und Bläser-parts. Eigentlich gut, oder?
Und tatsächlich besteht das neue Album „Babel“ der Londoner fast nur aus Songs, die sie schon jahrelang live angetestet hatten. Die Single „I Will Wait“ hat eigentlich alles, was man bei einem Mumford and Sons-Song haben möchte: hymnische Momente, eine gewisse Dramatik und diese ganz spezielle Instrumentieren. Noch dazu wahrscheinlich die schönste Stelle des ganzen Albums mit einer den Himmel anrufenden Bläserstelle. Und doch wurde ich beim ersten Hören nicht den Gedanken los, dass das irgendwie Auftragsarbeit war. Alles reingepackt, was wir so an Mumford & Sons lieben, am Ende steht der Song. Aber berühren kann er mich nur bedingt.
Nun ist das nicht der einzige Song auf der Platte, der so zu funktionieren scheint. Was zweifelsohne nicht schlecht ist. Eigentlich ist es sogar sehr gut! „Babel“ ist ein sehr gutes Album, das ich eigentlich jedem empfehlen kann. Außer vielleicht denen, die Mumford and Sons vergöttern.
Ich kann nun spekulieren, woran es liegt. Vielleicht ist Marcus Mumford nicht mehr so wütend, weil er lauter hübsche und talentierte Mädchen hatte und nun sogar die Schauspielerin Carey Mulligan geheiratet hat, und all die Preise, Headlinerplätze und mehr als 8 Millionen verkaufte Platten dürften ihr Übriges tun. Ihm und seiner Band gönne ich das. Eigentlich sind die Texte von Mumford and Sons auch weiterhin düster, Jesus beziehungsweise Jesus ist natürlich wieder dabei und Liebeskummer gibt es auch. Schuld, Zweifel und die Suche nach Hoffnung herrschen thematisch immer noch vor, aber irgendwie brodelt es nicht mehr so herrlich. Hatte der „Dust Bowl Dance“ auf dem ersten Album noch etwas apokalyptisch-biblisches gehabt, fehlen diese Stellen mir auf der neuen Platte. Man sonnt sich im banjo-ummantelten Wohlklang, und das fühlt sich gut an. Ein wenig zu gut.
Man kann Mumford and Sons zugute halten, dass sie es ungeheuer schwer hatten nach so einem Urknall von Album: Machen sie nun etwas ganz Neues, Anderes mit dem Risiko daran grandios zu scheitern und alle zu verstören oder machen sie eben das, was sie gut können und was man von ihnen haben möchte? Offenbar haben sie sich für Letzteres entschieden.
Und mit ein bisschen Abstand kann ich sagen: Die erste kleine Enttäuschung habe ich verkraftet. Ich höre das Album nicht von morgens bis abends, aber ich höre es gerne. „Lover of The Light“ ist die Hymne zum in den Himmel springen, und in der zweiten Albumhälfte brodelt es auch wieder. Und diese kleinen Wutausbrüche, die sind nicht aufgesetzt.
„Babel“ ist ein tolles Album, ein gutes für Mumford and Sons. Ich hätte mir wieder ein kleines Wunder gewünscht. Dieses Mal lasse ich ihnen das durchgehen und werde von meiner Verehrung nur leicht ablassen. Das nächste Mal aber, da geht nichts mehr unter Urknall.
Und es gibt übrigens doch einen Song auf der Platte, den ich wieder und wieder hören möchte, der brodelt, der fleht und der mitreißt. Es ist der erste, er heißt wie das Album „Babel“, und er ist wunderbar. Wir hören ihn: jetzt.
(Laura Eigbrecht)