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Buchrezension

Buchrezension vom 29.10.2012

"Abgehauen" von Grit Poppe - Der Jugendstrafvollzug in der DDR ist sicherlich eines der dunkelsten Kapitel des Landes zwischen Oder und Saale. Ziemlich zentral darin gelegen war der so genannte „geschlossene Jugendwerkhof“ in Torgau an der Elbe. Ebendort reichten sich einst die Russen und Amerikaner die Hände, um einer grausigen Diktatur ein Ende zu bereiten. Ein geschichtsträchtiger Ort. Doch damit sollte der Name des kleinen sächsischen Städtchens für zu viele junge Menschen in der DDR nicht in Verbindung stehen.
Der Torgauer Werkhof galt nicht nur unter den dort einsitzenden Werkhöflern schlicht als die Hölle. Übelste so genannte Erziehungsmaßnahmen sollten die vermeintlich schwer erziehbaren Jugendlichen zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ formen: von Essensentzug über Isolation bis zur Dunkelzelle, alles wurde praktiziert. Und in einer solchen Situation setzt „Abgehauen“ ein.

Die 16jährige Gonzo muss einige Tage zur Bestrafung in einer Dunkelzelle verbringen. Es ist feucht, es ist kalt und unendlich still. In dieser Situation weiß das Mädchen, welches die Werkhöfe zur Genüge kennt, dass sie nie zu einer sozialistischen Persönlichkeit werden wird, aber sie weiß auch, dass sie es niemals zulassen wird, dass man ihr Selbst zerbrechen wird. Sie fasst den Entschluss zur Flucht ins Ungewisse.
Beim Rücktransport in einen anderen Werkhof nutzt Gonzo eine Rast zur Flucht. Dank der Zurückhaltung ihrer Begleitperson gelingt das Vorhaben.
Gonzo allerdings hat keinen Plan, hat kein Ziel. Ihre Flucht ist die pure Verzweiflung bis zur nächsten Ingewahrsamnahme. Doch es kommt anders.
Sie trifft auf einen etwa gleichaltrigen Jungen, der auf dem Weg in die besetzte Prager Botschaft ist. Raus! Abhauen! In den Westen!, so ist sein Ziel. Angesichts des Erlebten fällt es Gonzo nicht schwer, sich diesem anzuschließen. Aber kann sie dem Jungen vertrauen? Gonzo setzt alles auf eine Karte, es ist vollständig verrückt, doch ohne Alternative.

Der Autorin Grit Poppe gelingt es in diesem Werk durch die skeptischen Augen der Romanheldin hindurch ein mehr als anschauliches Bild von den Geschehnissen in der westdeutschen Botschaft im in Prag des Herbstes 1989 zu zeichnen. Selbstredend spielt der scheinbar unvollendete Satz des damaligen Außenministers Genscher dabei eine Rolle, doch wesentlicher sind all die kleinen und großen Scharmützel im zum Bersten gefüllten Botschaftsgelände. Bizarrerweise scheint die Romanheldin in dieser Situation von ihrer bisherigen Kollektiverziehung zu profitieren. Sie kann mit Streitigkeiten und der herrschenden Enge recht gut und gelassen umgehen.

„Abgehauen“ von Grit Poppe ist zwar die Geschichte einer jugendlichen Heldin, dennoch ist es kein Jugendroman. Und selbst wenn es einer wäre, lesen sollten ihn all jene, die wissen wollen, was sich 1989 zugetragen hat in Prag, in Dresden oder eben auch in Torgau. Lesen sollten ihn aber auch all jene, die all diese Geschehnisse nicht vergessen wollen, denn es war eine aufregende Zeit.
An Genscher werden Jahr für Jahr die Fernsehkanäle erinnern – an Menschen wie Gonzo aber, werden es nur solche Bücher tun.

"Abgehauen" von Grit Poppe
Dressler Verlag 2012
ISBN: 978-3791516332
9,95 Euro

(Shanghai Drenger)

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