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Neulich im Netzwerk

Neulich im Netzwerk vom 21.11.2012

Wer entscheidet über meinen Tod? - In diesen Tagen begeht man in der Schweiz einen besonderen Jahrestag. 30 Jahre gibt es dort die Sterbehilfeorganisation Exit. Das Recht auf Selbstbestimmung - «im Leben und im Sterben» - steht im Zentrum ihrer Arbeit. Die meisten ihrer Klienten scheiden zu Hause, im eigenen Bett, aus dem Leben - umgeben von Familie und Freunden. Die Sterbewilligen nehmen das starke Schlafmittel Natrium-Pentobarbital ein, das vom Arzt verschrieben wird. In der Regel macht dies der Hausarzt, der den Patienten bereits seit Jahren kennt. Dass eine Erlaubnis der ärztlichen Suizidbeihilfe nicht zwangsläufig zu einem starken Anstieg der Sterbehilfe führt, zeigen Studien aus dem Ausland: im US-Bundesstaat Oregon ist die Suizidbeihilfe durch Ärzte seit 1997 gesetzlich geregelt. Dennoch nehmen durchschnittlich nur 0,2 Prozent der Sterbenden diese Möglichkeit in Anspruch. Kritik erwächst der Sterbehilfeorganisation bis heute in erster Linie aus christlichen Kreisen. Die evangelischen Kirchen in Europa verzichten allerdings mittlerweile auf eine Forderung nach einem ausdrücklichen Verbot der Sterbehilfe. Sie betonen, dass die Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung theologisch-ethisch nicht zu rechtfertigen seien. Sie sehen allerdings auch die Autonomie von Patienten in ausweglosen Situationen und erkennen an, dass es Grenzen gebe, die auch eine Kirche nicht überschreiten könne. Dies schließe das Recht auf ein Leben bis zum Ende und das Recht auf einen Behandlungsverzicht ein. Die katholischen Christen sind strikt gegen Sterbehilfe: Nicht der Mensch entscheidet über sein Leben, sondern Gott. Demnach gehört auch Leiden zum Leben. Und Selbsttötung ist für Katholiken auf jeden Fall sittlich nicht möglich. Nun gilt ja hier zu Lande zum Glück eine Trennung von Staat und Kirche. Was also sagt der Staat? In Deutschland ist aktive Sterbehilfe gesetzlich verboten. Doch die Beihilfe zum Suizid bleibt nach dem Gesetz straffrei. Jetzt soll sie neu geregelt werden. Dazu gibt es einen Gesetzentwurf, wonach gewerbliche Sterbehilfe verboten ist. Suizidbeihilfe aus sogenannten altruistischen Motiven bleibt weiterhin erlaubt. Die Bundes-Ärzte-Kammer hat sich dagegen ausgesprochen. Nach ihrer Berufsordnung ist auch passive Sterbehilfe unzulässig. Für viele Ärzte ist sie jedoch ein Beitrag zur Menschlichkeit. Hier heißt es: "Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus." Der frühere Präsident der Bundes-Ärzte-Kammer Jörg-Dietrich Hoppe lehnte zwar persönlich jede Beihilfe an einer Selbsttötung ab. Er fügte jedoch hinzu: "Sie soll aber möglich sein, wenn der Arzt das mit seinem Gewissen vereinbaren kann." Die moralischen Fragen stellen sich am Ende vor allem praktizierenden Medizinern, die Tag für Tag mit todkranken Menschen konfrontiert sind. Jeder dritte Arzt ist schon um Hilfe beim Suizid gefragt worden. Versteht mich nicht falsch: ich weiß um die Gefahr des Missbrauchs eines medizinisch herbeigeführten Sterbens, gerade in Hinblick auf unsere Geschichte. Und richtig gut finde ich auch die Hospizbewegung. Dort werden Menschen beim Sterben begleitet und nicht zu Tode gebracht. Aber ich bin auch Humanistin genug, um dem Menschen das Recht der Entscheidung zu lassen, ob er dieses Leben noch erträglich findet oder nicht. Der Deutsche Ethikrat sagt, dass ein offensichtlicher Sterbevorgang nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden soll. Darüber hinaus darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Die Tötung des Patienten hingegen ist strafbar, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolgt. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe. Ah – ja. Mein Arzt darf mich also verhungern und verdursten lassen, darf mich auch im Krankenhausbett ersticken lassen. Er darf mir aber nicht helfen, in meinem eigenen Bett, umgeben von lieben Menschen, sanft einzuschlafen, wenn die Zeit gekommen ist. Hm. Warum soll mir jemand vorschreiben, wie und wann ich sterben kann? Mein ganzes Leben lang muss ich irgendwas: mich in die Gesellschaft eingliedern, mich versichern, das Radio leise machen, den Ausweis bei mir führen, den Vorgarten von Schnee befreien, in die Schule gehen, arbeiten, Essen kaufen, Kindernasen putzen, Formulare ausfüllen und und und. Sollte dann nicht wenigstens jeder sterben können, wann und wie er will? Alte, kranke Menschen können nicht auf Berge klettern, um sich hinab zu stürzen. Und ich will mich, wenn es so weit ist, auch nicht vor den Zug werfen. Wie soll der arme Lokführer jemals damit klarkommen? Oder der Geisterfahrer neulich: sein Ziel war es, sich umzubringen. Hat er geschafft. Aber es sind noch vier andere Menschen dabei gestorben. Meine Oma saß eines Tages, als ich sie besuchen kam, in ihrem Sessel, lächelte und sagte: „Es ist Zeit. Ich bin jetzt fertig mit allem. Lass uns Abschied nehmen.“ Das haben wir gemacht und ich habe sie nicht mehr lebend wiedergesehen. Doch das letzte Wort soll diesmal Hermann Hesse haben: „Was den freiwilligen Tod betrifft: Ich sehe in ihm weder eine Sünde noch eine Feigheit. Aber ich halte den Gedanken, dass dieser Ausweg uns offen steht, für eine gute Hilfe im Bestehen des Lebens und all seiner Bedrängnisse.“

(Grit Hasselmann)

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