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Neulich im Netzwerk vom 12.12.2012

Weihnachten? Super-Stress! - Weihnachten ist schwierig. Zunächst mal ist das alte Lichterfest hierzulande so christianisiert, dass selbst hart gesottene Atheisten sich schwertun, ohne Engel und andere christliche Symbole auszukommen. Dazu gibt es kaum ein Weihnachtslied ohne Jesus oder Maria oder den Heiligen Geist. Und als wäre das nicht genug, setzt uns die Wirtschaft schon seit Oktober unter Druck: Immer neue Deko, immer aufregendere Geschenke, immer ausgefallenere Fest-Speisen. Als ich klein war, gab es immer Kartoffelsalat mit Würstchen und Geschenke konnte ich basteln. Und mein Adventskalender hatte Bilder hinter den Fensterchen. Aber die klassische Weihnachtszeit mit backen, singen und basteln ist irgendwie verschwunden. Ich hetze mit den Kindern zum Weihnachtsmarkt, im Theater gibt es natürlich ein Weihnachtsmärchen, Adventskalender sind selbst gemacht oder bestehen aus Säckchen, die zu füllen sind. „Aber Mama – auch mal was richtiges. Nicht immer nur Schokolade“. Und dann suche ich noch schöne, pädagogisch wertvolle, aber nicht so teure Geschenke im Internet. Und dann kommt das Schlimmste: Die Feiertage selber. Was da alles zu organisieren ist, zu beachten, zu klären. Nicht umsonst streiten sich so viele Familien Weihnachten. Riesen-Erwartungen, die keiner wirklich erfüllen kann. Was machen wir Heiligabend?
Wann gehen wir zu deinen Eltern, wann zu meinen? Was essen wir, wie viel Wein muss gekauft werden? Und dann – wenn alles durchgeplant ist, sitzt die Mama erschöpft unterm Baum und die kleinste Kleinigkeit lässt sie explodieren. Aber für viele Menschen ist es noch schlimmer. Für die, die allein sind. Es gibt kaum einen Tag im Jahr, wo Einsamkeit mehr drückt, als zu Weihnachten. Es ist das eine Fest, an dem wirklich jeder, der kann, seine Familie trifft. Die Kerzen an den Bäumen vermitteln Gemütlichkeit, man vermutet hinter den festlich geschmückten Fenstern glückliche Familien. Und es ist auch das einzige Fest im Jahr, an dem man eigentlich niemanden besuchen kann.
Wer klingelt schon Weihnachten bei Freunden oder Bekannten, weil er sich einsam fühlt? Wenn nicht gerade eine Zeitung wieder die Weihnachtsgeschichte nachspielen muss und über unsere hartherzige Zeit schwadronieren will und deshalb einen armen Reporter bei Fremden klingeln schickt. Dazu kommt, dass viele Kneipen geschlossen sind, kaum ein Begegnungszentrum Weihnachten seine Türen öffnet und auch die Kirchen - außer zur schönsten Messe des Jahres – dunkel und verrammelt in den Städten stehen.
Aber am einsamsten sind wohl die, die eigentlich eine Familie haben, nur nicht bei ihr sein können. Weil sie völlig verstritten sind, weil sie weit weg leben und ein Krieg oder Not sie auseinander getrieben haben, weil Trennung oder Scheidung aus einer Familie eine Patchwork-Familie gemacht haben. Und das, was das ganze Jahr über mit viel gutem Willen im besten Falle prima funktioniert, kann Weihnachten nicht gelingen. In Deutschland leben bereits 5,5 Prozent der Kinder unter 18 Jahren in Patchwork-Familien. Das sind etwa anderthalb Millionen. Patchwork-Familien müssen sich für ein harmonisches Fest besonders anstrengen, birgt die große Anzahl alter und neuer Verwandter doch ein höheres Konfliktpotenzial. Und außerdem sind für sie die Feiertage zu kurz. Da wollen plötzlich doppelt so viele Omas Plätzchen backen. Da will der alte Vater mit den Kindern auf den Weihnachtsmarkt, der neue aber auch. Und wenn die Kinder die Wochenenden abwechselnd bei Papa und Mama verbringen, hat man nicht mehr vier, sondern nur noch zwei Adventssonntage für all die Lieder und Spiele. Und natürlich haben die Kinder dann auch zwei Adventskalender. Und es gibt nur zwei Feiertage, um zu vier Omas zum Essen zu gehen. Organisatorisch gesehen eine Katastrophe. Und wir alle wissen, wer das meistens planen muss: Die Mama. Und eigentlich kann man dabei nur versagen, weil selbst die beste Familien-Managerin es nicht so vielen Menschen recht machen kann. Der Super-Gau jedoch ist der Heilige Abend. Den gibt es halt nur einmal. Sind die Kinder da bei Papa oder Mama? Kommt der Ex vorbei, um Geschenke zu bringen? Was, wenn der Neue das nicht aushalten kann? Und die Kinder? Die sich beide Eltern wünschen an Weihnachten? Die es aber auch den neuen Partnern recht machen wollen? Die passen sich an. Wie fühlt sich Weihnachten für Kinder an, die spüren, dass eigentlich alle Erwachsenen nur Stress haben? Und was machen an dem Abend die ausgesperrten Väter? Laufen sie durch die Straßen? Feiern sie mit einer neuen Familie? Oder mit einer kinderlosen Freundin? Es wird sicher alles geben. Weihnachten ist das Fest der Familie, der Liebe und des Friedens. Natürlich gibt es sie immer noch, die behaglichen Tage im Kreise der Lieben. Wo schöne Geschenke den Besitzer wechseln, alle anregende Gespräche führen und die Enkel erfahren, was Oma einst als junges Mädchen so alles anstellte. Dennoch: Patchwork scheint zur gesellschaftlichen Normalität zu werden. Jeder hat inzwischen eine oder mehrere solche Familien im Bekanntenkreis. Und weil es Normalität geworden ist, muss es doch funktionieren. Oder es sollte zumindest funktionieren. Das Schwierige an Patchwork-Familien ist, dass es keine Vorbilder für sie gibt. Jede ist in ihrer eigenen ganz besonderen Welt und Konstellation gefangen. Menschen verlieben sich und stolpern hinein, die Kinder stolpern mit, und eigentlich weiß keiner genau, wie man mit dem anderen umgehen muss. Es gibt keine Modelle, keine Konventionen, keine Rollen, an denen man sich orientieren könnte wie bei der herkömmlichen Kernfamilie. Das muss sich erst entwickeln. Und Weihnachten? Das Fest so zu feiern wie immer, nur all die neuen Menschen irgendwie zu integrieren, wird nicht klappen. Die neuen Familien werden sich neue Traditionen schaffen müssen. Warum nicht ein wenig experimentieren? Warum nicht mal in den Wald gehen, statt in die Kirche? Warum nicht die Kinder ihre Gästeliste machen lassen? Und beim Glühwein am Lagerfeuer findet sich vielleicht auch ein Platz für den „alten“ Papa. Er muss ja nicht direkt neben dem Stiefvater sitzen. Das verlangt ja gar keiner.

(Grit Hasselmann)

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