Hörbuchrezension
Hörbuchrezension vom 24.04.2005
Adam Thirlwell: Strategie - Es gibt Bücher, die muß man (frei nach Marcel Reich-Ranicki) nicht lesen. Aber hören kann man sie. Und es gibt Dinge im Leben, die kann man sich sparen - muß man aber nicht, denn dann fehlt einem möglicherweise etwas. Adam Thirlwell's "Strategie" ist ein Buch, das zwar so heißt, aber sehr wenig mit Strategie zu tun hat - zumindest nicht auf den ersten Blick.
"Ein 'unglaubliches und vollkommen überzeugendes Buch' erblickt Rezensent Kolja Mensing in Adam Thirlwells 'überraschendem Debüt'. Er nennt den Roman über die Mittzwanziger Moshe, Nana und Anjali, die eine Dreiecksbeziehung eingehen und sich alle Mühe geben, im Bett miteinander Spaß zu haben, zudem ein 'absolut zeitgemäßes Buch'. Denn Thirlwell werfe einen 'ernüchternden Blick auf die körperliche Liebe zu Beginn des 21. Jahrhunderts', wo Romantik nur eine 'Frage der Strategie' und Sex ein zuweilen unterhaltsames, oft aber auch anstrengendes 'Spiel um Dominanz' sei. Auch wenn Thirlwell recht unverblümt und über Seiten hinweg Bondage-Spiele, Analverkehr, Fisting und 'andere stimulierende Praktiken für ein bis drei Personen' beschreibt, soll es in dem Buch nicht um Sex gehen, auch nicht um Liebe. Das jedenfalls schreibt der Autor auf Seite 27 und Mensing nimmt es ihm ab. Worum geht's dann? Darum, so Mensing, daß die Menschen 'keine besonders intelligente Einstellung zum Egoismus haben' (Thirlwell) und sich lieber freiwillig der Selbszerstörung aussetzen, als sich eine moralisch nicht einwandfreie Haltung nachsagen zu lassen." (Die Tageszeitung, 31.01.2004)
Soweit der Blick auf den Blick in eine Rezension. Das Interessante an diesem Buch ist, daß der Autor zu seinem Werk stets einen eigenen Abstand hören und sehen läßt, eine Distanz, die dem Hörer immer wieder sagt: "Das hier, das ist ein Buch!" Und so heißt folgerichtig das 3. Kapitel "Die handelnden Personen".
"Adam Thirlwell wurde 1978 geboren. Bevor er am Oxforder New College unter dem Lyriker und Essayisten Craig Raine Englische Literatur studierte, arbeitete er in einem Altenheim und jobbte als Sprechlehrer in Ungarn. Craig Raine, der frühere Mentor und spätere Freund und Protegé von Autoren wie Martin Amis, Ian McEwan und Julian Barnes, förderte auch Thirlwell. Er veröffentlichte einige Artikel und Essays des Studenten und beschäftigte ihn nach dem Studium an seiner literarischen Zeitschrift 'Arteté'. Im Januar 2003, noch vor der Veröffentlichung seines ersten Romans, wurde der bis dahin unbekannte Student von der Literaturzeitschrift 'Granta' auf die renommierte 'List of Britains best young novelists' gewählt." (Aus dem Booklet) Besagter Roman, der im Original "Politics" heißt, erschien erst im August des gleichen Jahres. Thirlwell lebt in Oxford und London und schreibt an seinem neuen Roman. Das nennt man möglicherweise richtiger - genau: Strategie! Enorme Vorschußlorbeeren also für "Strategie" in England, wo dieser Debütroman - noch gar nicht fertig gestellt - bereits auf der Liste der 20 besten englischen Bücher landete.
"Der erste Liebesroman des 21. Jahrhunderts" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2004) - aber so weit oben würde ich selbst das Buch nicht hinlegen, es ist wirklich nur eine Geschichte um Drei, wie sie immer wieder geschrieben werden muß, weil sie immer wieder passiert. "Der Leser als Voyeur: Vielleicht ist es die unbekümmerte Art des britischen Jungautors, den Leser ungefragt mit einzubeziehen, man kann sich nicht einfach zurücklehnen, wie im Theater, und den Akteuren auf der Bühne zuschauen. Da ist ein Erzähler, der auf der Suche ist nach einem Verbündeten. Das macht den Leser - ob er will oder nicht - zum Mit-Akteur, zum Beteiligten, zum Voyour, das zwingt zur Stellungnahme. Wie in einem intimen Gespräch mit ihm fragt Thirlwell den Leser, teilt ihm mit, wägt ab, fordert zum Positionbeziehen auf, ein eigenwilliger Stil, der aus den Beschreibungen einer handlungsarmen Szenerie hervorsticht." (Barbara Wegmann, titelmagazin.com) Was macht diese Audio-Produktion für mich nun aber so bemerkenswert? Wenn man alle Fakten um das Buch wegläßt und den lockeren Schreibstil des Autors als nicht grundsätzlich neu erkennt, dann ist es wohl hauptsächlich die Stimme von Boris Aljinovic, die diese Geschichte in den Ohren nachklingen läßt.
Und soweit der Schnelldurchlauf durch ein Buch und durch Stimmen zu einem Buch, das "Strategie" heißt und doch so recht wenig mit Strategie zu tun zu haben scheint. Man liest die verschiedensten Begründungen dafür und auch der Autor würde es ganz bestimmt erklären - etwas anderes darf man gerne auch noch lernen von Adam Thirlwell: die "Menage à trois". Was also ist eine "Menage à trois"? Wer das nicht weiß, der darf es sich gerne von Boris Aljinovic vorlesen lassen.
(Charles Ott)