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Kommentar

Kommentar vom 07.11.2005

"Maria Stuart" am DNT: Schillerchöre, geistig durchdrungen - Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? So hieß die Antrittsvorlesung Schillers an der Jenaer Universität. Schiller forderte dazu auf, die Geschichte geistig zu durchdringen. Dazu fühlte sich nun auch Stephan Märki aufgefordert. Er hat Schillers „Maria Stuart“ am Deutschen Nationaltheater geistig durchdrungen. Die Frage ist ja gerade so ähnlich zu einer sogenannten Schiller-Theater-Konferenz gestellt worden: Was heißt und zu welchem Ende spielen wir Theater? Wie bringen wir heute Klassiker auf die Bühne? Märki hat nun dazu eine Möglichkeit vorgeführt: “Maria Stuart. Eine antike Tragödie für zwei Protagonistinnen und zwei Chöre.“
Die Begründung dafür lautet so: Schillers Figuren kann man nicht trauen, auch darf man sich nicht mit ihnen identifizieren, weil sie uns durch ihre eigenwillige Sprache von der heutigen Realität wegführen. Um die Tür für die Aktualität zu öffnen, so Regisseur Märki im Programmheft, brauche man „das Mittel der Chöre, um einfache Identifikationen zu brechen“.Was kommt dabei heraus?

Nun, auf jeden Fall fängt das gut an: Nach einer Unruhe stiftenden Musik Stille. Dann erst geflüsterte, aber immer lauter werdende Stimmen hinter dem lichtdurchlässigen Vorhang, die Stuart anklagende Texte, der Vorhang fällt plötzlich in sich zusammen. Eine hohe, weite und tiefe Bühne. Schwarz. Graue schmale Hänger, wie hohe Säulen. Eine Kathedrale, ein antiker Tempel, ein unheilvoller Raum. Links zum Chor gruppiert 12 schwarz gewandete Herren, rechts ebenso 7 Damen.Sie sprechen über Maria Stuart: Für- und Gegenrede. Die leidende Königin
selbst schreitet dabei, eine Gebrochene, von hinten kommend, langsam, ganz langsam durch die Mitte nach vorn. Steht da, stumm, während über sie von den beiden Chören verhandelt wird.Das hat archaische Größe, das hat Kraft, eine beeindruckende Exposition des Dramas. Beeindruckend auch die erkennbar klare Sprachstruktur des Textes. Keine Auslieferung an irgendeinen individuellen Gestus. Strenger
respektvoller Umgang mit Schiller.Mit großer Intensität dargeboten, durchaus auch leidenschaftlich. Wenn man klassisches Theater allein mit Größe und Erhabenheit gleichsetzen will, dann ist das sehr gut gemacht.
Alsbald aber möchte die Einstimmung vorbei sein, alsbald möchte sich die Handlung aus dem Spiel der Figuren miteinander entwickeln und auch erschließen. Da möchte es endlich einmal genug des chorisch dargebotenen Textes sein. Aber nein, das geht so weiter, das ganze Stück über: Zwei Königinnen, die zum Tode verdammte Stuart und die sich von ihr bedroht fühlende Elisabeth sowie zwei Chöre, einer alle Männerrollen sprechend, wenngleich auch gelegentlich in Grüppchen aufgeteilt, um verschiedenen
miteinander sprechende Rollen deutlich zu machen, und ein Frauenchor, vornehmlich Marias engste Vertraute, die Amme sprechend. Vielleicht hätte ähnlich des Anfangs eine chorische Auflösung am Ende oder auch zu Aktschlüssen Wirkung getan. So fängt es irgendwann an, einfach nur
anstrengend zu sein. Zu genau muß dem Wort gefolgt werden, um die Konfliktsituationen zu erfassen: Wer ist wer, wer hat was vor, mit wem und warum? Manchmal ist fraglich, ob das jetzt wirklich Stimmen von Figuren sind oder gar die inneren Stimmen der beiden Königinnen.

DNT-Intendant und Regisseur Märki wollte die beiden Protagonistinnen als von den Chören Getriebene zeigen. Nun ja, das ist ihm weitgehend gelungen. Es ist gut choreografiert. Und gelungen ist auch, was Märki wollte, der Dimension der Sprache Schillers Raum zu geben. Doch, die Chöre sind bemerkenswert gut einstudiert. Aber die Individualität der Königinnen, aus der sich doch ihre ganz eigenen Strategien herleiten, bleiben weitgehend auf der Strecke. Dabei hat Märki hervorragend besetzt. Claudia Meyer als Stuart, die in Schuld verstrickte, zur Sühne bereite, aber noch sinnliche, von Männern
begehrte Frau. Die gibt sie zerbrechlich, zart, leidend. Man glaubt ihr, in besseren Tagen die große, aber doch unbedachte Verführerin gewesen zu sein. Und Petra Hartung als Elisabeth, die aus Staatsräson Männer auf Distanz haltende, nie wirklich geliebte Frau, stattlich steht sie da, eine uneinnehmbare Festung, kühl kalkulierend aber unentschlossen in der Ausführung. Brillant, wie die Hartung ihren Text behandelt, mit feinem zynischen Unterton. Aber das ist doch nicht alles, was die beiden Schauspielerinnen in der Lage wären zu zeigen. Wie sollen sie aber, wenn sie zu so statuarischen Arrangements verpflichtet sind:Die berühmte große Szene, in der beide Frauen aufeinander treffen – was für verschenkte Möglichkeiten! Stehen da im Halbdunkeln, sprechen Text,
und noch über „Hadset“, also mikrofon-verstärkt über Lautsprecher zu hören (so verfremdet geht das übrigens den ganzen Abend zu). Vorn rechts, immer im Lichtkegel, Elisabeth. Erst auf selber Höhe neben ihr ganz links die
Stuart, dann taucht die immer weiter nach hinten ins Dunkle ab. Am Ende gar, wenn sie, beleidigt und gedemütigt von der Elisabeth zum Gegenschlag ausholt, die Szene damit nun umschlägt und den Fortgang des ganzen Stückes eine andere Richtung gibt, steht Maria weit hinter Elisabeth in der Bühnentiefe, fast nicht mehr zu sehen: Welch ein mißglücktes Arrangement! Und auch in den Chören waren Schauspieler zu sehen, die durchaus in der Lage wären, Schillers Rollen adäquat zu spielen. Ohne Realitätsverlust durch Schillers Sprache. Aber mit Vertrauen in Schillers Figuren.

Eine Tür zur Aktualität wollte Märki mit dieser Inszenierung aufstoßen. Das ist ihm nicht gelungen. Wenngleich das Stück dafür sehr wohl geeignet ist. Oder geht es in heutiger Politik nicht um Machtkalkül bei Eigenverleugnung aus Staatsräson? Haben wir nicht möglicherweise bald eine von Männern umstellte, in ihrem Amt einsame Kanzlerin? Geht es in heutiger Politik nicht auch um Besserwisserei aus Eitelkeit und Eifersucht, um Feigheit Opportunismus und Verantwortungslosigkeit? Oder gar um terroristische Mordanschläge aus idealisch verklärtem Heldentum? Zeitnäher als die Figur des Leicester kann doch kaum eine sein: Ein politischer Berater, der dabei vor allem seine eigenen Interessen im Auge hat und sich redegewandt immer gerade dem andient, der es zur Macht bringen könnte? Aber das Politische kommt nicht über uns wie ein antikes Schicksal, sondern ist von Menschen gemacht. Damals wie heute. Hat nicht Schiller das
Menschliche, das Individuelle, gereizt an diesem historischen Stoff, und ist seine Bearbeitung dem Elisabethanischen Theater nicht viel näher als dem der Antike?

"Maria Stuart" ist, wie viele andere Stücke von Schiller, auch ein spannender Krimi, in dem es um Mord und seine Aufklärung geht. Einen solchen spannenden Abend und die Erkenntnisse daraus hat uns Märki verwehrt. Das allerdings auf hohem Niveau. Geistig durchdrungen. Eine Kopfgeburt nennt man so etwas.

Das Publikum war davon durchaus beeindruckt und zollte der Premiere Respekt. Ein angemessener, respektabler Beifall für die disziplinierte handwerkliche Leistung des Ensembles des Deutschen Nationaltheaters. Aber: Was heißt und zu welchem Ende spielen wir Theater? Vielleicht sollte die Frage so lauten: Warum, wenn man sich als Regisseur mit einer Theatertruppe in der Darstellungskunst antiken Theaters üben und präsentieren will, warum inszeniert man dann nicht einfach ein antikes Stück? Weil gerade
Schillerjahr ist? Sollten wir da nicht besser ein Jahr des Sophokles oder des Euripides einführen?

(Wolfgang Kammerer)

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