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Neulich im Netzwerk

Neulich im Netzwerk vom 12.02.2013

Rücktritte zum Machterhalt - Was mir zu Schavan einfällt? Naja: Mit Deutschland geht’s scheinbar bergab. Dem berühmtesten Dichter ist seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS zeitweise "entfallen", der berühmteste Maler malt germanische Wälder und alle lieben die Kanzlerin, wenn sie Südeuropa ins Elend stürzt und deutsche Soldaten (oder waren es nur deutsche Waffen?) ins Ausland liefert. Solange sich die moralische Empörungsmaschinerie mit Herrn Brüderle und den Ex-Doktoren beschäftigt, scheint es ja keine anderen Probleme zu geben. Ach ja - da hätten wir noch die guten alten Stasi-Vorwürfe gegen Gysi, wie immer kurz vor der Wahl. Dabei schreibt unser Landrat, Herr Münchberg, im letzten Amtsblatt, dass wir sehr wohl einen Geheimdienst brauchen. Soll sich mal keiner aufregen. Gut, ich glaube jetzt nicht, dass er die Stasi verteidigen will, wohl eher den Verfassungsschutz. Aber macht es das besser? Apropos besser: Die Schavan war aus meiner Sicht nicht mal unsere schlechteste Ministerin. Diesen Titel will ich jetzt aber nicht vergeben. Nur soviel: Ich würde mir ganz andere Rücktritte wünschen. Natürlich darf die Wissenschaftsministerin nicht abschreiben, aber dürfen Politiker schamlos in die eigene Tasche wirtschaften? Dürfen Nazis in Deutschland unter Polizeischutz demonstrieren? Dürfen Armutsberichte geschönt werden? Und wird für all das jemand zur Verantwortung gezogen? Nein. Wir müssen weiter auf Rücktritte hoffen. Ist das wirklich Demokratie? Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist Schavans Rücktritt der dritte affärenbedingte Rücktritt eines Kabinettsmitglieds. Sieben Monate vor der Bundestagswahl bescheinigt die Opposition der Regierung einen Fehlstart ins Wahljahr. „Zerstritten und schwach torkelt die Bundesregierung ihrem Ende entgegen." Und? Ist das ein Grund zum Jubeln? Ist das gut für unser Land? Sollte die Opposition nicht lieber aufpassen, dass diese Regierung nicht noch mehr Schaden anrichtet? Ist das nicht eigentlich ihre Aufgabe? Die deutschen Bürger sprachen sich in Umfragen mehrheitlich für einen Rücktritt Schavans aus, liest man. Welche deutschen Bürger eigentlich? Die, die nie zur Wahl gehen? Die, die sich zur Anti-Nazi-Demo über die Verkehrs-Beeinträchtigungen aufregen? Die, die eigentlich gar nichts über unsere Minister wissen? Über das, was sie tun oder eben nicht tun? Die, die sich wundern, warum die Griechen plötzlich so anti-deutsch sind? Oder die, die in der Türkei Urlaub machen und nicht mal vermuten, dass es dort von Bundeswehr nur so wimmelt? Eben diese Bürger hatten wochenlang gejubelt: „Wir sind Papst!“ Jetzt sind sie angeblich wegen Ratzingers Rücktritt „tief bewegt“. Das zumindest sagt unser Bundespräsident, der ja auch nur im zweiten Anlauf und auch wegen eines spektakulären Rücktritts an die Macht kam. Woher will er das denn wissen? Ich bin nicht tief bewegt. Mir ist der Papst ziemlich egal, ehrlich gesagt. Gut, ich wünsche mir einen, der für die Verbrechen der Kirche endlich Verantwortung übernimmt. Der die Archive im Vatikan öffnet, um die Wahrheit ans Licht zu lassen. Doch den wird es wohl nie geben. Aber wer weiß, es gab ja bisher auch nur einen Papst, der zurückgetreten ist. Der einzige dokumentierte, freiwillige Rücktritt der römisch-katholischen Kirchengeschichte ist nämlich für das Jahr 1294 belegt. Damals verzichtete Coelestin V. auf sein Amt - ein knappes halbes Jahr nach seiner Wahl. Papst Benedikt XVI. begründete seinen Schritt mit dem Alter und der Gesundheit. Hm. So richtig jung und fit war er ja auch zum Amtsantritt schon nicht mehr. Bei seiner Wahl 2005 war er 78 Jahre alt und damit der älteste Papst seit 1730. Unsere Angela Merkel jedenfalls dankte dem Papst. Da wird er sich freuen. Ob sie aber seine Leistungen oder doch den Rücktritt meint, bleibt offen. Oder dankt sie ihm, weil durch die Nachricht seines Rücktritts ihre marode deutsche Regierung erst einmal aus der Schusslinie der Medien gerückt wurde? Für Benedikt den XVI. war ein Rücktritt offenbar schon immer eine Option. In einem seiner zahlreichen Werke hatte der Papst einmal geschrieben, dass es für das Kirchenoberhaupt „eine Pflicht“ sei zurückzutreten, wenn er seine Ämter nicht mehr bewältigen könne. Ich bin wirklich kein Kirchenfan. Aber an dem Satz sollten sich Politiker hier zu Lande ein Beispiel nehmen. Wenn sie sich dann von ihrer tiefen Erschütterung und Bewegtheit wieder erholt haben, versteht sich.

(Grit Hasselmann)

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