Neulich im Netzwerk
Neulich im Netzwerk vom 02.04.2013
Die armen Abgeordneten! - Gut 8200 Euro verdient ein Bundestagsabgeordneter. Jetzt liegt ein Papier vor von einer Experten-Kommission, die den Bundestag in Sachen Gehälter berät:
Die Politiker müssen mehr Geld bekommen. Bundestagspräsident Lammert zeigt sich offen für diese Idee. Er will sie sogar noch vor der Wahl umsetzen. Grob geht es darum, dass sich die Gehälter für Volksvertreter an der Besoldung von Bundesrichtern orientieren sollen. Das entspricht einer Anhebung von mehreren hundert Euro pro Monat. Ausgerechnet Bundestagspräsident Norbert Lammert lässt also in einem Zeitungsinerview Sympathien für die Empfehlungen der Kommission durchblicken. Umfragen zufolge kennen die wenigsten Wähler Herrn Lammert. Über die Qualität seiner Arbeit lässt sich im Netz nichts finden. Wenn Abgeordnete aber das gleiche Geld wie Richter verdienen wollen, dann müssen sie sich auch den gleichen Pflichten unterwerfen. Wenn beispielsweise ein Richter sich bestechen lässt, macht er sich strafbar. Er darf auch nicht fehlen bei seinen Verhandlungen. Jeder erinnert sich dagegen an den fast leeren Sitzungssaal im Bundestag bei teilweise wichtigen Abstimmungen. Die Expertenkommission wird übrigens geleitet vom früheren FDP-Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig. Mit dem Aufkommen moderner Parlamente im 18. und 19. Jahrhundert war zunächst noch keine Diätenregelung vorgesehen. In der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 gab es sogar ein Diätenverbot für die Mitglieder des Reichstags. Ab Januar 1874 erhielten die Abgeordneten lediglich eine Freifahrkarte für die Bahn zur Anreise. Sie mussten daher über Vermögen verfügen, um mittels der Privateinkünfte ihr Mandat überhaupt finanzieren zu können. Um auch vermögenslosen Kandidaten die parlamentarische Arbeit zu ermöglichen, wurden allerdings bald Diäten gefordert.
Die Grundsätze für die Versorgung der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind im Art. 48 des Grundgesetzes festgelegt. Darin heißt es, dass die Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben und alle staatlichen Verkehrsmittel frei benutzen dürfen. Soweit, so gut. Das war aber noch nicht alles: die Abgeordneten erhalten dazu noch eine Kostenpauschale. Nämlich zur Bezahlung von Bürokosten zur Einrichtung und Unterhaltung von Wahlkreisbüros außerhalb Berlins, für Hotelzimmer und Essen in Berlin und auf Reisen, Fahrtkosten für Fahrten in Ausübung des Mandats und sonstige Kosten für andere mandatsbedingte Aufwendungen. Also Empfänge, Partys, Spenden, Abendgarderobe. Die Kostenpauschale beträgt derzeit etwas mehr als 4.000 € pro Monat und wird jedes Jahr zum 1. Januar entsprechend den Lebenshaltungskosten angepasst. Aber auch das war noch nicht alles. Die Abgeordneten haben das Recht, bis zur Gesamthöhe von ca. 15.000 € im Monat auf Kosten des Bundestages Mitarbeiter einzustellen. Diese dürfen nicht mit ihnen verwandt sein. Dies dient der Bewältigung der Aufgaben des Bundestagsabgeordneten in Berlin und im Wahlkreis. Sie ahnen es. Es kommt noch mehr. Das Grundgesetz sichert den Abgeordneten die freie Nutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Zurzeit erhält jeder Bundestagsabgeordnete eine Netzkarte der Deutschen Bahn als Freifahrtschein. Zudem werden die Kosten für Flüge und Schlafwagen bei Mandatsreisen im Inland erstattet. Dazu kommt aber noch etwas:
Die Krankenkasse zahlt der Bundestag wie andere Arbeitgeber auch.
Bundestagsabgeordnete zahlen keine Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung und erhalten im Gegenzug auch keine Leistungen aus den gesetzlichen Sozialversicherungen, erwerben allerdings pensionsähnliche Ansprüche. Sie sind diesbezüglich wie Beamte gestellt. Weiter geht es dann mit der Hinterbliebenenversorgung. Ganz klar. Aber so richtig schön wird es, wenn ein Abgeordneter das Parlament verlässt. Beispielsweise, weil er nicht mehr gewählt wird. Dann bekommt der ehemalige Abgeordnete ein Übergangsgeld. Für jedes Jahr der Mandatsausübung wird das Übergangsgeld einen Monat lang ausgezahlt, höchstens jedoch für 18 Monate. Ein ehemaliger Abgeordneter erhält momentan für ein Jahr im Bundestag ein Übergangsgeld von etwa 7.700 €, für 18 Jahre und mehr stehen ihm insgesamt fast 140.000 € zu. Dieses Übergansgeld hat aber nichts mit den Altersbezügen zu tun. Die bemessen sich nach der monatlichen Abgeordnetenentschädigung. 2012 betrug die monatliche Mindestpension ca. 1.700 €; der Betrag steigt mit längerer Zugehörigkeit und erreicht nach 23 Jahren Bundestagszugehörigkeit den Höchstanspruch von rund 4.800 €. Und weil das alles ja nicht genügt, dürfen Abgeordnete bezahlte Nebentätigkeiten in der freien Wirtschaft ausüben, etwa in Aufsichtsräten. Was das mit ihrer Objektivität und ihrer freien Entscheidungsfähigkeit bei Abstimmungen macht, ist heute nicht mein Thema. Ich frage mich nur, wenn sie so intensiv fürs Volk arbeiten, dass sie all diese Gelder wirklich verdienen, wann haben die Parlamentarier dann Zeit für Nebentätigkeiten?
Und dann will ich der Vollständigkeit halber noch die Funktionsbezüge erwähnen. Die bekommen beispielsweise Fraktionsvorsitzende oder Ausschussvorsitzende.
Zusammengerechnet habe ich das alles nicht. Aber ich erinnere noch einmal an das Grundgesetz: Abgeordnete haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Also – wer will ihnen jetzt noch eine Diäten-Erhöhung verweigern? Und wer will jetzt noch diese Parlamentarier? Und wer war noch Herr Lammert?
(Grit Hasselmann)