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Neulich im Netzwerk

Neulich im Netzwerk vom 16.04.2013

Toleranz für die Kindheit - Es gibt Menschen, die bringt man kaum in Verbindung mit dem Thema Toleranz. Dabei wäre es so wichtig, ihr anderssein, ihre andere Art zu denken nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu bewundern. Ich rede von Kindern. Sie leben teilweise fern der Realität in Fantasiewelten. Sie haben imaginäre Freunde, können fliegen und glauben, dass der Mond irgendwann vom Himmel fällt. Doch kaum jemand will das wissen. Sie sollen vielmehr funktionieren wie die Großen. Kinder wachsen heute in einer extremen Erwachsenenwelt auf. Wenn man durch Weimar läuft, entdeckt man im öffentlichen Raum kaum noch etwas, das darauf hinweist, dass hier Kinder leben. Hier und da mal ein Spielplatz, aber die sind meist trist und trostlos und alle TÜV-geprüft. Meine Kindheit spielte sich im Freien ab und war viel weniger belastet. Was Kinder heute alles wahrnehmen und aufnehmen müssen, ist ungeheuerlich. Uns ging das Weltgeschehen überhaupt nichts an, wir haben es auch gar nicht mitbekommen. Kindheit war ein Schonraum, das ist heute anders. Wenn man sich heute einen der vorschulischen Bildungspläne anschaut, hat man oft den Eindruck, jedes Kindergartenkind könnte Leiter der Deutschen Bank werden, wenn es all die Anforderungen erfüllen würde, die darin enthalten sind. Ist es denn wirklich relevant für ein Kind, ob eine Kerze zum Brennen Sauerstoff braucht? Ist das eine Frage, mit der sich ein Kind beschäftigt? Oder ist es nicht viel eher fasziniert vom Flackern? Wir alle haben in der Schule unzählige Dinge gepaukt, die wir heute nicht mehr anwenden können. Wir sollten aufhören, bereits die Zeit im Kindergarten damit zu verschwenden, Kindern unnützes Wissen beizubringen. Aber immer mehr Eltern sorgen sich, ihre Kinder könnten im Wettlauf um eine optimale Schulkarriere und später um die besten Plätze im Berufsleben zurückbleiben. Alarmiert von den miserablen Pisa-Ergebnissen und verunsichert von der ebenso fruchtlosen wie schier endlosen Debatte um die zukünftige Ausrichtung des öffentlichen Schulsystems, versuchen viele, mit individuellen Bildungsprogrammen für ihre Sprösslinge gegenzusteuern. Und das so früh wie möglich. Denn die Zeit drängt. In ganz Europa boomt der Markt der Frühförderung. Das Einstiegsalter beim Wettkampf in Windeln liegt bei null Jahren. Deshalb füllen Eltern den Kalender ihres Nachwuchses mit einem oft erstaunlichen Terminplan: Meditationen und Massagen für Säuglinge etwa, im Kindergarten dann Kung-Fu und Ballett. Es gibt eine Bildungsindustrie, die suggeriert, man dürfe frühe Zeitfenster nicht versäumen. Schon für 5jährige gibt es Kurse vom Trommelworkshop bis zur Theatergruppe. Wer früh fördert, belässt es in aller Regel nicht dabei. Getrieben von der Sorge, möglicherweise eine Bildungschance für die Kleinen zu versäumen, bucht die junge Elterngeneration lieber einen Kurs mehr. Und wenn man sein Kind einfach nur spielen lässt, hat man das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Ich kann mich an das Drama erinnern, als wir unsere Tochter nach vergeblichen Versuchen mit Klavier, Geige und Cello dann endlich vom Instrumenten-Lernen befreit hatten. Rabeneltern seien wir, hieß es damals. Dabei wollen die meisten Eltern nur alles richtig machen. Die Ratgeberliteratur füllt ganze Buchregale, oft ist im Freundes- und Bekanntenkreis eine mehr oder weniger kaschierte Rivalität um pädagogische Triumphe entbrannt.
Gerade gebildete Mütter und Väter gehen zunehmend kopflastig an die Erziehung heran, meinen Pädagogen. Das Vertrauen in ihr intuitives Wissen, ins eigene Bauchgefühl, schwindet. Das Ergebnis der jüngsten Unicef-Studie ist deprimierend: Obwohl die Situation der Kinder in Deutschland nach objektiven Maßstäben besser ist als je zuvor, fühlen sich viele Mädchen und Jungen unglücklich. Weil es ihnen, im Gegensatz zu ihren Eltern, nicht um materielles Wohlbefinden, Gesundheit und Bildung geht. Da klafft eine Lücke zwischen dem, was die Erwachsenen wollen und dem, was Kinder brauchen. Wichtig wäre, dass Eltern ihren Kindern das Gefühl geben: Du bist gut wie du bist, wir glauben an dich, du hast Kompetenzen, auch wenn die nicht in Noten sichtbar werden. Kinder werden viel zu selten danach beurteilt, ob sie nette, hilfsbereite, sozial kompetente, einfühlsame, neugierige, interessierte Menschen sind. Das Problem ist nicht, dass Kinder gefordert werden. Problematisch ist der Umgang mit dem Scheitern. Wenn man Kindern das Gefühl gibt "Ich werde angenommen wie ich bin, meine Eltern glauben an mich", dann können sie wieder aufstehen und Aufgaben selbstbewusster angehen. Viele Eltern wundern sich, dass sie auf die Frage "Na, wie war's in der Schule?" immer nur eine einsilbige Antwort erhalten. Doch das Kind spürt genau: Mama will eigentlich nur wissen, ob ich die Arbeit zurückgekriegt habe. Oft ist der Förder-Wahnsinn auch Ersatz für Zuwendung, aus schlechtem Gewissen, weil Eltern nicht genug Zeit haben oder arbeiten müssen. Aber Eltern müssen nicht alles richtig machen. Sie dürfen Schwächen haben und zwischendurch sogar richtige Kotzbrocken sein. Aber sie sollten greifbar sein und ihre Liebe nie in Frage stellen, auch nicht in schwierigen Situationen. Das Gefühl "Ich werde geliebt" ist für das Glück der Kinder total wichtig. Wesentlich wichtiger als ein Yoga-Kurs im Kindergarten.

(Grit Hasselmann)

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