Kommentar
Kommentar vom 21.05.2013
Kompetente Modeblätter - Der Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere mutmaßliche Unterstützer des rechtsextremen Netzwerkes NSU hat nun endlich Fahrt aufgenommen. Nach anfänglichen Streitereien um Presseplätze, nach einer Flut zum Teil grotesk anmutender Anträge seitens der Rechtsanwälte ist nun zu erwarten, dass es endlich um die Sache geht, nämlich um zehn geschehene Morde, um einen Sprengstoffanschlag, der noch weitaus mehr Opfer hätte fordern können und um Banküberfälle zur Finanzierung eines Lebens im Untergrund. Die Sache ist es, über die es nun durch die Medien zu berichten gilt, seien es die so genannten „Großen“ aus den auflagenstarken Verlagshäusern oder seien es die „politisch unauffälligen“ wie TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue das Weimarer Stadtradio Radio LOTTE nennt. Also, die vermeintlich „Kleinen“ der Bürgermedien.
Was die „Presse“ als solche zum Beginn des Prozesses allerdings geleistet hat, ist qualitativ durchaus fragwürdig. In beinahe sämtlichen Zeitungen und Videoberichten wurde erst einmal auf die Kleiderfrage der Hauptangeklagten eingegangen. Trägt Zschäpe einen Hosenanzug oder einen Blazer, nimmt sie einen Schluck Wasser zu sich oder dreht sie den Journalisten den Rücken zu? Die „Bild“ titelt „Der Teufel hat sich schick gemacht“.
In der „Tageszeitung“ kommentiert man diese Art der Berichterstattung mit der Aussage: „... dann doch lieber Qualitätsmedien berichten lassen“, ohne zu beachten, dass im hauseigenen Bericht zur Prozesseröffnung bereits im dritten Absatz die Kleiderfrage thematisiert wird. Qualitätsmedium eben. Und auch die Thüringer Allgemeine kommt davon selbst nach dem dritten Verhandlungstag nicht los, im Gegenteil, hier wird sogar noch auf die modische Erscheinung der Anwältin eingegangen, Zitat: „Anja Sturm fiel am dritten Verhandlungstag bereits vor Eröffnung des Prozesses mit einem lindgrünen Kleid im Stil der 60er Jahre auf. Ihre Mandantin erschien dagegen in einer dunklen Hose, einer gelben Bluse und einem schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt vor Gericht. Diesmal trug Beate Zschäpe die Haare wieder offen.“ - Zitat Ende.
Was wollen uns diese Journalisten mit derart unwichtigen Informationen eigentlich verdeutlichen? Wollen sie damit beweisen, dass sie es sind, die eigentlich einen Presseplatz im Verhandlungssaal verdient hätten, weil sie damit zeigen, was die Öffentlichkeit wirklich interessiert? Wie ist die äußere Verfassung der Angeklagten?
Das alles könnte man noch ganz gelassen hinnehmen, hätte sich nicht unmittelbar nach der zweiten Akkreditierung eines Journalisten, der für die Bürgermedien arbeitet, nämlich für Radio LOTTE Weimar, ein Schwall von Häme über ein unbekanntes Medium ausgebreitet.
Natürlich ist die Aufregung wegen eines umstrittenen Losverfahrens zur Belegung der Presseplätze nachvollziehbar. Natürlich haben in Deutschland ausgebildete Journalisten einen gewissen angelernten Berufsethos, der sie nicht verstehen lässt, dass die größten Blätter der Medienlandschaft nicht mit eigenen Reportern im Gerichtssaal sitzen. Beim Prozess gegen die RAF war das noch anders. Damals existierte eine überschaubare Medienwelt, bestehend aus einigen Leitmedien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einer handvoll Wochenmagazine. Heutzutage gibt es die auch noch, aber darüber hinaus gibt es den nicht unbedeutenden privaten Rundfunk- und TV-Sektor und – das scheinen viele überhaupt nicht wahrnehmen zu wollen – den Bereich der unabhängigen, nichtkommerziellen Bürgermedien.
Diese wurden nun durch das Losglück von Radio LOTTE Weimar einmal mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Und so zeigen manch enttäuschte Journalisten ihre wahren Recherchefähigkeiten: sie wähnen, wie die Hannoversche Neue Zeitung, die Prozessberichterstattung ausgerechnet bei uns zwischen Jingles und Werbeblöcken platziert oder sie frohlocken wie eine bestens informierte Kollumnistin der TAZ in Bezug auf unser Radio , Zitat: „die Top-Ten-Hits des Terrortrios werden uns bald nicht mehr länger fremd sein". So kann man sich gut uninformiert einer selbstgefälligen Täuschung hingeben. Und am Rande: Online-Medien arbeiten übrigens ganz unbeschwert mit Werbepartnern zusammen, dort fangen die Prozessberichte oft mit der Brötchen- oder Versicherungswerbung an.
Wie einfach wäre es gewesen herauszufinden wer da dieses fragwürdige Losglück hatte, würde es sich um kompetente Journalisten handeln. Ein Griff zum Telefonhörer und eine Nachfrage hätten ja schon gereicht.
In meiner Kindheit kursierte ein spaßig gemeintes Schild vom Rummelplatz unter uns. Darauf stand „Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten!“. Wie sehr wünschte ich, Journalistenkollegen täten dies einmal mehr, wenn es darum geht einem ernsten Thema mit Ernsthaftigkeit zu begegnen – selbst wenn es schnell gehen muss.
(Shanghai Drenger)