Buchrezension
Buchrezension vom 27.05.2013
SLIME - Deutschland muss sterben -
Eine Band verändert Deutschland – so oder ähnlich könnte man über die Hamburgische Punkband SLIME sprechen, wenn, ja wenn man den Ausführungen Daniel Rysers in seinem Buch „SLIME – Deutschland muss sterben“ gehorsam folgen wollte.
In seinem ca. 290 Seiten starken Buch, inklusive Diskografie der Band, beschreibt der schweizerische Musikjournalist die Hamburger Band und ihr Umfeld zum Teil akribisch, berichtet über Kneipentouren mit ihnen, gibt inhaltsschwere wie auch banale Gespräche mit ihnen wieder und zeichnet somit ein vielseitiges Bild einer Band aus Deutschland, welche tatsächlich ihre Spuren in einer nicht nur subkulturellen Musikszene hinterlassen hat.
Man muss SLIME nicht mögen um dies anzuerkennen. Dennoch ist bzw. war SLIME eine jener Bands, welche stets versuchte politische Aussagen zu treffen. Das galt in den 80er Jahren wie auch heute noch, nach der x-ten Neugründung und Wiederbelebung.
Bezeichnend für dieses Buch ist: es ist kein ausgesprochener Kniefall vor der musikalischen Leistung, wenn es auch stellenweise den Anschein erweckt. Immer wieder wird die Geschichte der Band auch von den Bandmitgliedern selbst, den ehemaligen wie auch den aktuellen, in Frage gestellt. Es geht keineswegs darum zu fragen, ob man immer alles irgendwie richtig gemacht hat, ob man nicht das eine oder andere hätte optimieren können oder ob man nicht noch mehr Fans hätte zu den Konzerten ziehen können. Nein, es geht vielmehr darum eine Musikgeschichte, ein Rockerleben am Beispiel des Sängers Dirk Jora oder auch des eigensinnigen Schlagzeugers – und entscheidenden Songschreibers – Stephan Mahler Revue passieren zu lassen. Es wird gefragt, wie haben Ereignisse wie die Proteste gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, wie hat die westdeutsche Staatsgewalt gegen die Hausbesetzerszene, wie die Grenzöffnung 1989 und wie haben die Pogrome in Hoyerswerda, Mölln und Rostock auf das Leben eines jungen Menschen gewirkt? Welchen Einfluss hatte all dies und mehr auf die Musik, auf die Texte der Band und auf das Leben der Musiker?
Ein wenig ernüchternd lässt sich feststellen, dass die Musiker von SLIME bei weitem keine Helden sind, selbst wenn der forsche Agitationssound und die aufmüpfigen Texte es nahelegen. Die Berichte im Buch verdeutlichen einmal mehr, dass zumindest ein Teil der Band lieber akribisch an der Musik tüftelte anstatt sich gemeinsam mit anderen in Straßenschlachten mit der Polizei zu messen. Und so kam eben eine durchaus ambivalente Musikmischung heraus, wie an den Alben deutlich wird. Sei's drum! Musik entwickelt sich eben und die Musiker mit ihr, selbst wenn sie wie Dirk Jora stets zu ihren Wurzeln halten.
SLIME war eine Band, welche sich nicht nur insgeheim als Fortsetzung der legendären TonSteineScherben verstand. Die machten zwar Hippiemusik, dennoch fühlte man sich der Band um Rio Reiser inhaltlich sehr verbunden, was sich auch musikalisch niederschlug. Wie einst die Scherben rockten SLIME die Demoparolen von einst und wurden zu einer der auf Demonstrationen meist gespielten Bands. Später beeindruckten sie jüngere Musiker, welche sich kommerzieller geben aber dennoch nicht unpolitisch sein wollen.
Das jüngste Album der Band aus dem Jahr 2012 trägt den Titel „Sich fügen heißt lügen“ und versammelt 13 verarbeitete Gedichte des von den Nazis im KZ ermordeten Anarchisten Erich Mühsam. Bemerkenswert ist die Diskussion um dieses Album selbst unter den SLIME-Musikern, die sich in diesem Buch wiederfindet. Kann man mit solch poetischer Sprache Punk-Rock machen?
Hier hat die Band ein Genre entdeckt, welches ostdeutsche Punkbands bereits in den 80er Jahren abgrasten. Neu ist das also nicht, aber immer wieder aktuell.
Und, wäre es nicht eine Hauptsache für Dirk Jora, beinahe nebenbei erfahren die LeserInnen viel über ein leidenschaftliches Engagement für einen Stadtteilfußballverein, der nicht zuletzt durch die Umtriebigkeit des SLIME-Sängers zu einem Aushängeschild politischer Fanarbeit geworden ist, des FC St. Pauli.
Auf einem Hamburger Kriegerdenkmal heißt die Inschrift „Deutschland wird leben, auch wenn wir sterben müssen“. Diesem unheilvollen Spruch setzte die Band immer ein „Deutschland muss sterben“ entgegen und hängte der Forderung ein „damit wir leben können“ an. Damit traf und trifft SLIME bis heute den Nerv von tausenden Menschen, denen Nationalstolz und westliche Überheblichkeit nicht nur piepegal sind, sondern jene, die sich dadurch eingeengt und erdrückt fühlen.
Die LeserInnen mögen sich fragen, was macht diese Band denn nun so außergewöhnlich, dass man ihr ein ganzes Buch widmen muss. Gar nichts, möchte ich nach der Lektüre meinen, andererseits sprechen die Verkaufszahlen der SLIME-Alben Bände. Abertausende Platten von ihnen wurden verkauft. Wären sie nicht Punks und hätten nicht so gelebt wie sie es getan haben, sie müssten reich geworden sein. Doch nein, sie alle gehen heute meist ganz gewöhnlichen Jobs nach, machen natürlich weiter Musik und sind weiterhin irgendwie SLIME.
Mille Petrozza, der Gründer der Trash-Metal-Band KREATOR bringt es auf Seite 262, kurz vor Ende des Buches mit einem kurzen Statement auf den Punkt: „In den USA gab es die Dead Kennedys, in England die Sex Pistols und in Deutschland SLIME. Auf dieser Ebene ordne ich die Band ein.“
Recht hat er. Insofern hat dieses Buch durchaus einen Platz im Regalfach über die lustigen Zeiten verdient.
(Shanghai Drenger)