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Aktuelles vom 10.07.2013
Ein dreibeiniger Tisch wackelt nicht - Radio LOTTE beim NSU- Prozess.
Seit den 90er Jahren verbreiten sich in Deutschland die Bürgermedien in Form meist kleiner Rundfunksender im regionalen Bereich, die mit ihrer Berichterstattung zu meist lokalen Themen zigtausende Menschen in ihrer Lebenswelt erreichen. Viele der bestehenden Radiostationen sind aus soziokulturellen Initiativen entstanden, Initiativen, welche sich aktiv in die Regional- wie auch Landespolitik einmischen wollen, Initiativen, denen es nicht reicht, in unserer Demokratie einfach nur Zuschauer zu sein. Und so zelebrieren diese kleinen Radiosender eine ganz besondere Art der demokratischen Teilhabe.
Leider scheint diese, neben den öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten, dritte Säule im Rundfunksystem vielen Menschen bis dato immer noch ein Buch mit sieben Siegeln zu sein.
Wie anders sollte sonst erklärbar sein, mit welcher Uninformiertheit gerade professionelle Journalisten und Medienmacher auf die Akkreditierung eines Bürgermedien-Journalisten zum NSU-Prozess in München reagierten? Viel Häme wurde da über den Sender Radio LOTTE Weimar ausgeschüttet. Nun werde man endlich informiert über „die Top-Ten-Hits des Terrortrios“ schrieb eine Kollegin der TAZ, der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen monierte, dass ein „politisch unauffälliges“ Medium über den Prozess berichten wolle oder man erwartete allen Ernstes, dass ein so kleiner Sender den Platz meistbietend im Internet versteigern würde. Und vieles mehr.
Manchen KollegInnen ist dabei nur entgangen, welche Rolle Bürgermedien explizit im Engagement gegen Rechtsextremismus und für eine offene Gesellschaft einnehmen. Vielerorts sind es gerade die Bürgerradios, welche seit ihrem Bestehen als Multiplikatoren für entsprechende Initiativgruppen fungieren.
Während früher kleinteilig mit Plakaten und Flugblättern für Inhalte geworben werden musste, können die Lokalradios schnell und interaktiv soziokulturelle Initiativen wie auch Bürgerinnen und Bürger mit Entscheidungsträgern aus der Politik ins Gespräch bringen. Und das alles nicht hinter verschlossenen Türen, sondern vor den Ohren der Öffentlichkeit. So entwickelt sich eine ortsnahe Wahrnehmung, welche die herkömmlichen öffentlich-rechtlichen oder auch privaten Sender aufgrund ihrer oft länderübergreifenden oder kommerziell dominierten Struktur nicht bieten können.
Diese Öffentlichkeit ist im Fall des NSU-Prozesses auch bei einem Bürgerradio keine lokal begrenzte oder „sehr überschaubare“, wie es wohlmeinend hieß. Während wir zum einen mit unserem Kollegen vor Ort arbeiten, sind wir bestrebt das Netz der Berichterstatter auszuweiten, um unterschiedliche Sichtweisen auf den Prozess zu ermöglichen. Radio LOTTE Weimar hat die Akkreditierung genutzt, in kürzester Zeit ein bundesweites Netzwerk zu flechten. Mitte Mai waren bereits 22 Sender aus dem gesamten Bundesgebiet von Ulm bis zur Küste dabei, sowie Stationen in Österreich. Alles werbefrei und nichtkommerziell, versteht sich, denn den Bürgermedien geht es nicht um die Quote, sondern um die Hintergründe, Ursachen und Keimzellen solch menschenverachtender Taten, wie sie den Angklagten zur Last gelegt werden. Es geht um Inhalte die jenseits der Frage nach Beate Zschäpes Hosenanzug liegen.
Bekanntlich wackelt ein dreibeiniger Tisch nicht. Insofern sollten auch die „großen“ Medienprofis die kleinen, freien wie nichtkommerziellen Rundfunksender zwar nicht fürchten, doch zumindest ernst nehmen.
Shanghai Drenger
Chefredakteur
Radio LOTTE Weimar
(Shanghai Drenger)