Tonspur
Tonspur vom 29.07.2013
Dominick Martin - Valentia - Nicht selten wird den Interpreten, einschlägiger elektronischer Tanzmusik eine gewisse Engstirnigkeit, oder gar mangelnde Kreativität bescheinigt. Das entspricht oft der Wahrheit. In solch speziellen Genres, wie Drum & Bass, ist es sehr schwer, Fuß zu fassen. Das liegt daran, dass es extrem enge Genre-Grenzen gibt, in denen sich wiederum extrem viele Interpreten bewegen müssen. Das heißt, wer diese Grenzen zu sehr ausreizt, oder gar überschreitet, wird nicht beachtet. Wer hingegen zu sehr auf gewohnten Bahnen unterwegs ist, wird ebenfalls ignoriert. Schließlich hat man so etwas schon tausendmal gehört. Calibre gehörte schon immer zu den Sonderlingen im Drum & Bass, der es schaffte, einen ganz eigenen Stil zu kreieren, auf den die Drum & Bass Cracks trotzdem tierisch abgingen. Eine harmonische Mischung aus Jazz, Funk, und Jungle, die ganz fantastisch funktionierte. In seinen Anfangstagen gründete er Ende der 90er zusammen mit Marcus Intalex das renommierte Lable „Soul:R“ und veröffentlichte unter dem Namen MIST.i.CAL einige, der bekanntesten Drum & Bass Tracks dieser Tage. Unvergessen bleibt die Zusammenarbeit mit MC Fats. „Drop It Down“ ist selbst heute noch eine absolute Hammerplatte und gefragter denn je.
Abseits vom eher mainstreamigen Gebaren Calibres', gründete er sein eigenes Lable „Signature“. Hier etablierte er einen unfassbaren Output. Beinahe monatlich gab es neue Singles und EPs und Calibre gelang die Veröffentlichung mehrerer LPs im Jahr. Nie hatte man das Gefühl, seine Kreativität sei erschöpft. Immer gab es etwas neues und sein Experimentiergeist kannte schier keine Grenzen. Auf der „Don't Mind“-EP gelang ihm ein weiteres Novum. Er sang selbst. Andere Produzenten greifen auf Samplewerk oder eingekaufte Sänger zurück. Calibre tat das – auch im Rahmen seiner stimmlichen Möglichkeiten – überaus souverän selbst.
Obendrein probierte er sich in anderen Genres, wie House, Minimal und Dupstep aus, stets, ohne seine bekannten stilistischen Bahnen zu verlassen. Als ob das alles noch nicht reichen würde, veröffentlichte er eine ganz andere Musik unter seinem bürgerlichen Namen Dominick Martin. Die erste LP „Shne A Light“ kam 2009 heraus und präsentierte eine Sammlung, verspielter Soundscapes, die zwar kaum dramatische Dynamiken zu präsentieren vermochten, aber immerhin eine weitere, hoch interessante, Facette im musikalischen Schaffen Calibres aufzeigten.
Dieses Projekt hat es jetzt zu einer zweiten LP geschafft, die konzeptionell, wie auch musikalisch wesentlich runder und ausgereifter wirkt, als noch die Vorgänger-LP.
„Valentia“ bietet einen warmen und nahezu perfekten Sound und kreiert eine leicht schwermütige Stimmung, die aber durch lockere Jazz-Elemente wieder aufgeweicht wird.
Ich merke schon. Musik zu beschreiben, ist doof, deshalb sollte man sie sich am besten anhören.
Man muss bedenken, dass große Teile der Musik auf diesem Album, elektronischer Natur sind. Das merkt man nicht an der Klangqualität, sondern an der Spieldynamik. Ein echter Bassist, baut - selbst unbewusst - mehr Variationen ein, als ein geloopter. Das gleiche gilt für Piano und Drums. Man hört den Tracks also ihre synthetische Herkunft an. Alles wird aber super organisch und lässt den Konsumenten förmlich dahin schmelzen, wenn Dominick Martin seine unglaublich sonore und perfekt modulierte Stimme ansetzt. Er mag kein professioneller Sänger sein, aber seine Stimme passt perfekt zu den leicht swingenden Jazz-Rhytmen und gibt der ganzen Platte eine wehmütige Note. Man hat nicht das Gefühl, hier mit den schweren Problemen einer Depression konfrontiert zu werden, aber eine nicht zu leugnende Melancholie schwingt immer mit.
Abschließend sei zu sagen, dass es bestimmt tausend Jazzalben gibt, die besser klingen, die perfekt eingespielt sind und auch inhaltlich wesentlich tiefgründiger sind, als „Valentia“. Was mir an dieser Platte so zusagt, ist die Aufrichtigkeit des Künstlers, die man immer wieder zu hören scheint. So, also wolle er uns sagen „Ich bin kein perfekter Musiker, aber ich bin Künstler und habe etwas mit zu teilen.“
(Jan Witte)