Hörbuchrezension
Hörbuchrezension vom 13.03.2005
Josef Martin Bauer: So weit die Füße tragen - Ein Hörbuch, ein Film und ein Konzept-Album. Alles ist: "So weit die Füße tragen".
Dem Roman liegt die Geschichte eines Mannes zugrunde, Clemens Forell heißt er im Buch, seine wahre Identität war jahrzehntelang nicht bekannt. Josef Martin Bauer hat diese Geschichte 1955 anhand eines achtstündigen Tonband-Interviews mit dem früheren Wehrmachtangehörigen und Kriegsgefangenen Cornelius Rost nacherzählt: einer, der aus russischer Kriegsgefangenschaft flieht und zwar vom östlichsten Punkt Russlands aus, dem Ostkap, quer durch Sibirien. Daß er heimkehrt ist kein Geheimnis und keine Vorwegnahme des Schlusses, denn hätte er es nicht geschafft, hätte es Buch und Film und Neuverfilmung und vielleicht auch ein ganz bestimmtes Musikstück der deutschen Band "Goethes Erben" nicht gegeben. Die Lage scheint aussichtslos zu sein für die Überlebenden des Gefangenentransportes: härteste Bedingungen im Bleibergwerk, und sicher wird keiner von ihnen je seine Heimat wiedersehen. Schon der Versuch einer Flucht wird hart bestraft.
Doch Forell scheint unbezwingbar in seinem Drang, zurück nach Deutschland zu seiner Familie zu kommen. Forell wird das Unmögliche versuchen, zweimal sogar. Die erste Flucht wird scheitern. Möglicherweise rettet ihm dieses erste Scheitern auch das Leben, denn er wagt den Ausbruch völlig unvorbereitet. Man holt ihn ein, er wird zurückgebracht. Er überlebt schwerverletzt einen unmenschlichen Spießrutenlauf seiner eigenen Kameraden, die inzwischen bei gleicher Arbeit 'auf Suppe' gesetzt wurden. Hunger lähmt, auch die Menschlichkeit. Er geht vom Lazarett ins Bergwerk und wieder zurück ins Lazarett. Er wird erfahren, daß die Behringstraße, Alaska, nur einen Steinwurf weit entfernt ist, er wird einen anderen diesen Weg fliehen und als Krüppel in den Berg zurückkehren sehen, es werden Leute sterben und er wird den Lagerarzt Stauffer kennenlernen, der einst selbst mit einem anderen fliehen wollte. Doch beiden sind die Gründe zur Flucht abhanden gekommen. Forell wird der einzige sein, dem man es noch zutraut, und er wird stellvertetend für sie gehen.
Dieser Stoff wurde bereits zweimal verfilmt: als sechsteiliger Fernsehfilm im Jahr 1959 - der zu einem der ersten Straßenfeger des deutschen Fernsehens wurde - und 2001 als Kinofilm. Diesen Film nahm Lübbe Audio zum Anlaß, ein Hörbuch mit Hauptdarsteller Bernhard Bettermann als Clemens Forell aufzunehmen. Spätestens ab der dritten CD recht anstrengend ist Bettermanns für einige Rollen bemühter pseudo-russischer Akzent, der umso weniger Sinn hat, da ja die Russen das einwandfreie Russisch sprechen und Forell dagegen zunächst nur ein gebrochenes Russisch mit deutschem Akzent!
Ein Tipp für alle, die neugierig geworden sind: eine Karte von Asien zur Hand nehmen und die genannten Orte der Flucht Forells verfolgen - mit dem Finger auf der Karte wird alles noch ein wenig anschaulicher. Allerdings, die großen Wegstrecken legt Forell beinahe erst auf der allerletzten sechsten CD zurück. Während sein Weg bis dahin sehr ausführlich geschildert wurde, verwischt diese Klarheit der Beschreibung der weiteren mehr als zwei Drittel der Strecke. Alles ist gerafft und beschränkt sich beinahe nur noch auf das Erwähnen der wichtigsten Stationen. Doch hätten Roman und Hörbuch bei gleichbleibendem ausschweifenden Erzählstil wohl den doppelten Umfang gehabt. Leider bleibt so vieles an Eindrücklichkeit der Flucht auf der Strecke.
Dabei sollte man natürlich nicht vergessen: "So weit die Füße tragen" basiert auf dem, was Josef Martin Bauer, Journalist von Beruf, anhand der Tonbänder aufgeschrieben hat. Wieviel hinzugedichtet wurde, wie weit die Geschichte ursprünglich wahr ist, hat Forells Alter Ego Cornelius Rost bereits 1983 mit ins Grab genommen.
Eine Frage drängt: Was hat Clemens Forell eigentlich auf dem Gewissen, wofür kam er in Kriegsgefangenschaft? War er ein Verbrecher? War sein einziges Vergehen, daß er Soldat eines mörderischen Staates in einem verlorenen Krieg war? Die Frage steht im Raum, eben weil sie nicht gestellt wird. Dennoch geht es in dem Buch nicht um Recht oder Unrecht, Schuld oder Unschuld und schon gar nicht um Rache und Sühne. Es geht nicht um Hitler und Juden und um Auschwitz. Es sind - und das ist alles, was das Buch will - die Schilderungen eines Mannes, der nicht in Sibirien sterben sondern nach Hause kommen will. Und der drei Jahre 'im Blei' arbeitet und drei Jahre die russische Weite durchquert. Der Krieg ist lediglich Ursache dieses Schicksals: die Kriegsgefangenschaft und eine Flucht, die aus Sicht der sowjetischen Behörden unbedingt erfolglos zu bleiben hat. Und das versteht man sogar auch, wenn man die Schilderungen der Bergwerksbedingungen hört.
Forell wird vielen Menschen begegnen, solchen, die ihm wohlgesonnen sind, solchen, die ihm gefährlich werden. Mehrmals wird er beihnahe vor dem Aus stehen und auch er wird wiederum nicht ohne neue Schuld bleiben. Und es kommt noch das Ende, das, glücklich und tragisch zugleich, in Deutschland sein wird. Ein Hörbuch, das man nur haben sollte, sofern man sich dafür interessiert - gleiches git für eingangs erwähntes Konzeptalbum "Goethes Erben" (1995) von Goethes Erben.
Josef Martin Bauer: "So weit die Füße tragen",
gelesen von Bernhard Bettermann,
Lübbe Audio, 2001, 6 CDs
(Charles Ott)