Kommentar
Kommentar vom 08.10.2013
Sind Menschen einfach unmenschlich? - Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in unserem Grundgesetz. Tun wir diesem Grundsatz Genüge, wenn wir die über 200 Toten von Lampedusa in schicke, würdevolle Särge legen? Mit Blumen drauf? Und auf die Kindersärge Plüschtiere?
Und was ist mit den christlichen Werten, die die Bundesregierung immer so vehement verteidigt? Was ist mit der Liebe für den Nächsten? Was mit Mitgefühl? Oder mit Teilen? Und ich will jetzt gar nicht vom Speisen der Hungrigen anfangen. Aber ich vergaß – die christliche Bundesregierung ist ja mit Koalitionsgesprächen und Minister-Monopoly beschäftigt.
Europa begräbt seine Ideale auf dem Grund des Mittelmeers. So stand es dieser Tage in der Zeitung. Und genau so ist es. Aber auch Deutschland tut es. Es ist leicht, dem relativ anonymen Europa allein die Schuld zu geben. Wir sind ja die Guten, wir nehmen ja Flüchtlinge auf.
Inzwischen sind es Tausende, die ertrunken vor Lampedusa, Malta, in der Ägäis, aber auch vor den Stränden der Kanarischen Inseln ruhen. Wir haben einfach nur keine EU-Außengrenzen. Sonst lägen all die Opfer des europäischen Egoismus auch in unserem Vorgarten.
Wie ist das nun mit der Menschenwürde, den Menschenrechten? Ich habe gelernt, dass sie unveräußerlich für jeden einzelnen Menschen gelten. Hat sich daran irgend etwas geändert?
Oder sind neuerdings die davon ausgenommen, die keine Lust haben, ihrer Familie beim Verhungern zuzuschauen? Oder die, die sich von Schleppern auf überfüllten Booten zusammenpressen lassen? Vielleicht kann man Menschenrechte ja auch irgendwie an die Rentenversicherung koppeln.
Wenn es in Europa um Flüchtlingspolitik geht, geht es immer um Abwehr. Es scheint ein Krieg zu sein, der sich zwischen zwei Welten abspielt.
Seit die sogenannte Drittstaatenregelung gilt, hat sich das Flüchtlingsproblem für alle Mittel- und Nordeuropäer weitgehend erledigt. Denn wer als Flüchtling in so einem sicheren Drittstaat landet, darf nicht mehr weiter.
Die Osteuropäer haben ihre Grenzen zum Nicht-EU-Ausland verriegelt. Der Landweg nach Europa ist verschlossen. Für die meisten Flüchtlinge bleibt nur noch der Weg über das Meer. Und sie wissen um die Gefahr. Wie schlimm muss ihr Leben zu Hause sein, wenn sie den Tod in Kauf nehmen, nur um zu entkommen?
Sogar unser zurückhaltender Bundespräsident Joachim Gauck hat sich geäußert: "Wegzuschauen und sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte".
Wir müssen ja nicht gleich die Marine ins Mittelmeer schicken. Aber, wir könnten effektiv kriminelle Schleuser verfolgen. Wir könnten eine europäische Einwanderungspolitik entwerfen.
Laut UN-Flüchtlingskomissariat waren im Jahr 2012 weltweit 45 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten von ihnen suchen Schutz und Hilfe in den Nachbarländern. Die wenigsten landen in Europa. Gerade mal 250 000. Etwa ein halbes Prozent.
Und dafür findet sich keine menschliche Lösung? Warum?
Der Papst sagt: In einer Welt der Globalisierung seien wir in die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" geraten. Keiner ist verantwortlich. Wir sind alle keine bösen Menschen, wir haben einfach nichts mit den 20.000 Leichen im Mittelmeer zu tun.
"Herrschaft des Niemand" nannte die Philosophin Hannah Arendt die Staatsform der Bürokratie. "Verantwortliche ohne Namen und Gesicht" nennt sie der Papst – und meint uns alle. Wir alle haben die Menschen vor Lampedusa ertrinken lassen. Und den meisten ist das im Grunde völlig egal.
(Grit Hasselmann)